„Ein Chaos, bei dem am Ende viele Menschen verliebt sind. Aber alle in die falsche Person.“ So beschreibt Choreograf Enrique Gasa Valga in seiner Einführung das, was sich in F. Scott Fitzgeralds berühmtem Roman „Der große Gatsby“ abspielt. Und tatsächlich könnte man bei der Flut von Namen und dem wechselnden Beziehungsstatus mancher Figuren leicht ins Straucheln kommen. Doch wenn sich der Vorhang im Deutschen Theater hebt, sind solche Bedenken im Nu verflogen.
Schon der von Addison Ector mit vollendeter Körperbeherrschung und atemberaubender Sprungkraft hingezauberte Prolog zeigt nämlich, welch guter Geschichtenerzähler Gasa Valga ist. Für sein Tanztheaterstück hat er eine Bewegungssprache erdacht, die swingende Modetänze der 1920er-Jahre kreativ mit Elementen des klassischen Balletts und Modern Dance verschmilzt. Inklusive einer kleinen Tap-Dance-Einlage des zentralen Trios.
Die Schnitte zwischen den Stilen kommen dabei oft mit der Rasanz eines TikTok-Videos. Vor allem bei den rauschenden Partys, die hier von der High Society auf Long Island gefeiert werden, treibt der Choreograf das Ensemble seiner Limonada Dance Company in wildem Rausch über die Bühne. Und eine gewisse erotische Spannung darf ebenso wenig fehlen. Wobei die Frauen auf der Bühne zum Glück nie nur Objekt oder Opfer sind. Da begegnet man beispielsweise Alice Amorotti, die als Myrtle mit fesselnder Bühnenpräsenz die Männer nicht nur zu verführen, sondern vor allem auch zu führen versteht. So etwa in einem knisternden Pas de deux mit ihrem eifersüchtigen Ehemann.
Den Gegenpol zu ihr verkörpert Camilla Danesi, die als Gatsbys Jugendliebe Daisy in klassisch geschulter Eleganz geradezu über die Bühne zu schweben scheint und mit Titelheld Mark Biocca ein wunderbares Paar bildet. Wobei er für den umschwärmten Strahlemann die passende rotzige Frechheit mitbringt und neben tänzerischer Vielseitigkeit sogar noch sein Gesangstalent unter Beweis stellen darf.
Der Soundtrack des Abends ist natürlich fest in den Roaring Twenties verwurzelt. Mit jazzigen Big Band-Klassikern von Duke Ellington und Benny Goodman sowie vielen anderen Ohrwürmern des Great American Songbook. Darunter mischen sich aber auch nostalgisch neu arrangierte Nummern von Meghan Trainor bis Freddie Mercury. Umgesetzt wird diese wilde, aber dramaturgisch genau durchdachte Mischung von sechs italienischen Vollblutmusikern um Sängerin Greta Marcolongo, der heimliche Star des Abends. Dies dank einer Power-Stimme, die unmittelbar unter die Haut geht und von hart bis zart einfach alles kann. Egal ob melancholischer Jacques-Brel-Chanson, schnippische Nina-Simone-Hommage oder Nancy Sinatras „My Baby shot ne down“, das für Gänsehaut sorgt und dem Finale ein Tarantino-Feeling verleiht. Weil Musik, Songtexte und Tanz hier stets nahtlos ineinandergreifen, fesselt die Produktion vom Prolog bis zur letzten Minute. Womit das erste von drei angekündigten Gasa-Valga-Stücken auch für Musical-Fans der perfekte Einstieg sein könnte, um das eigene Spektrum in Richtung Tanz zu erweitern. Oder kurz gesagt: Wer sich den „Großen Gatsby“ entgehen lässt, ist wirklich selber schuld!
Vorstellungen
bis 3. März, Telefon 089/55 23 44 44.