Feuchter Albtraum

von Redaktion

PREMIERE Robert Borgmanns wilde Antiken-Variation „Athena“ im Marstall

VON ALEXANDER ALTMANN

Zu behaupten, diese Aufführung sei nahe am Wasser gebaut, wäre eine Untertreibung. Denn „Athena“ im Marstall des Residenztheaters ist sogar ins Wasser gebaut: Ein quadratisches Bassin füllt die ganze Bühne, und die Akteure waten wie somnambule Geister darin herum oder platschen spritzend in die knöcheltiefe Flut.

Das nasse Element macht sofort klar, dass es hier ums Elementare geht, ums Archaische, ja Archetypische. Denn letztlich ist die Szenerie als Ursuppe des Unbewussten zu lesen: als innerseelische Geisterbahnfahrt für die gebildeten Stände, die ins Reich der Triebe, Ängste und Affekte führt, wo Rache, Hass und Schuld wabern, kurz, in den alten griechischen Mythos des Atridengeschlechts, bei dem Kindes-, Gatten- sowie Muttermord quasi Familientradition ist.

Robert Borgmann, der diesen feuchten Albtraum konzipierte und inszenierte, das Bühnenbild entwarf sowie live eine suggestive Klangkulisse zwischen rhythmischem Dröhnen und feinem Sirren zaubert, hat den bekannten Stoff in ein betörend surreales Schattenreich verlegt, einen bizarren Zeitlupen-Hades, der nicht nur sehr kulinarisch wirkt, sondern mit flirrenden poetischen Assoziationen stellenweise den alten Griechen das Wasser reichen kann.

Da werden brennende Stühle durchs Planschbecken geschleift, die Rachegöttinnen (Juliane Köhler, Felicia Chin-Malenski, Franziska Hackl) sind Kapuzenfrauen in Daunensteppjacken und Trainingshosen (Kostüme: Birgit Bungum), die wie wild auf ihre leuchtenden Handys eintippen. Ein Schlauchboot treibt über den Pool, aus dem Elchgeweihe ragen, Iphigenie schwebt als gelbes Plastikmädel herab, und der Muttermörder Orest (Thiemo Strutzenberger) flackert vor Wahnsinn im Stroboskoplicht, während er Dithyramben deklamiert – denn die Partitur für diese „musiktheatrale Installation“ ist nun mal Aischylos’ Tragödie „Eumeniden“.

Nach gängiger Lesart schildert der Dichter darin den zivilisatorischen Fortschritt vom heillosen Prinzip der Blutrache zur staatlichen Rechtsprechung der Demokratie, die, gestiftet von der Weisheitsgöttin Athene, aus Vernunftgründen den Kreislauf des Mordens durchbricht. Borgmann hingegen kratzt an dieser Interpretation und planscht in der „Dialektik der Aufklärung“ herum: Seine Athene, gespielt von Max Mayer, ist ein Zausel mit langen grauen Haaren, gehüllt in einen Fatsuit, der gänzlich mit Parolen vollgeschrieben ist. Manchmal wirkt dieses unförmige Gespenst wie ein Sprechautomat, dessen Batterien schwach werden, und endlich hopst es ungelenk vom Sprungbrett ins Bassin wie eine Witzfigur.

Vor allem aber zeigt sich dann im letzten Teil des dreistündigen Abends, dass Athene nur das verborgene Ich von König Agamemnon (ebenfalls Max Mayer) ist, denn als der seine Feldherrenuniform auszieht, kommt darunter wieder der beschriftete Fatsuit zutage. Ist also die gesittete Ordnung, die Athene stiftet, auch nur Ideologie? Ein Trick der Mächtigen, um ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten? Wenn man bedenkt, dass im historischen Athen bloß ein Bruchteil der Bevölkerung – nämlich die freien (männlichen) Bürger – stimmberechtigt war, die große Masse der Sklaven aber nicht, dann scheint dieser Gedanke fast naheliegend. Das Happy End ist damit natürlich ins Wasser gefallen. Freundlicher Beifall.

Weitere Vorstellungen

am 17., 18., 24. und 25. März; Telefon 089/ 21 85 19 40.

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