Verdi-Dressur

von Redaktion

Daniele Gatti bei den Philharmonikern

VON MARKUS THIEL

Manchmal passiert dieser Aufführung, dass gar nichts mehr passiert. Im „Hostias“ zum Beispiel, wenn die Musik stillsteht und Tenor Francesco Meli alle Zeit der Welt bekommt, um seine feine Mezzavoce vorzuführen. Oder im „Agnus Dei“, das die beiden Solo-Damen durchaus flüssig vortragen, während der Philharmonische Chor die Wiederholung nach einer Vollbremsung des Dirigenten singen muss. Warum dies alles so ist in diesem Verdi-Requiem, das weiß nur der Gast am Pult.

Und Daniele Gatti weiß viel über dieses Werk. Über Details, Klangschichtungen, Phrasierungsprozesse. So viel, dass er in der Isarphilharmonie am liebsten alles zeigen will. Ein Extremist. Womit die Aufführung bei den Münchner Philharmonikern ein Problem bekommt: Sie ist Vorführung, Verkünstelung, fast schon Dressur, weniger organisch und logisch entwickelte Interpretation. Sicher, da gibt es starke Momente: der geisterhafte Beginn an der Hörschwelle, das tempo- und dezibeltechnisch zwingend gesteigerte „Rex tremendae“, die wunderbar entspannte „Sanctus“-Fuge.

Am allerliebsten hört man den Philharmonikern zu in dieser opernhaften Literatur – nie zu präpotent oder kantig, mit griffigem, plastischem Edel-Sound, erst recht in Knaller-Momenten wie dem „Dies Irae“. Auch der Chor tönt bemerkenswert balanciert, keine Sekunde überreizt, mit exzellenter Textbehandlung. Und sehr erstaunlich ist, wie alle dem sprunghaften Gatti folgen, auf seine Kulissenwechsel reagieren, ohne dass es jemanden aus der Kurve trägt.

Am ungerührtesten und selbstbewusstesten agiert ausgerechnet die Einspringerin. Iulia Maria Dan kam kurzfristig für Marina Rebeka ins Spiel. Mit dunklem, herbem Klang singt sie ihre Partie, höhensicher, schlank. Und dass sie sogar dunkler tönt als Mezzosopranistin Okka von der Damerau, ist ein weiteres Kuriosum dieser Aufführung. Der Münchner Publikumsliebling ist anfangs nicht optimal in der Intonationsspur, aber im „Lux aeterna“ endlich in gewohnter Form. Alex Exposito (Bass) ist mit kerniger Intensität dabei. Francesco Meli lässt wie immer nichts anbrennen: ein dramatischer Tenor, der seine Phrasen elegant ins Piano abfangen kann. Homogene Solo-Quartette sind beim Verdi-Requiem die Ausnahme, auch dieses fällt auseinander. Und jetzt, so wünscht man allen Beteiligten, alle zurück auf Los – um ganz entkrampft Musik zu machen.

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