Das Monster in uns allen

von Redaktion

INTERVIEW Christian Friedel über seine Rolle als Auschwitz-Kommandant Höß

In Magdeburg ist er geboren, aber in München hat seine Karriere begonnen: mit dem Schauspielstudium an der Otto-Falckenberg-Schule und ersten Engagements am Resi und an den Kammerspielen. Inzwischen hat Christian Friedel auf Theaterbühnen in Dresden, Hannover und Düsseldorf ebenso Furore gemacht wie als Kopf der Art-Pop-Band Woods of Birnam. Vor der Kamera spielte er unter anderem den Dorfschullehrer in „Das weiße Band“, einen Polizeifotografen in „Babylon Berlin“ oder Hitler-Attentäter Georg Elser in „Elser – Er hätte die Welt verändert“. Ab morgen ist der 44-Jährige in Jonathan Glazers für fünf Oscars nominiertem Meisterwerk „The Zone of Interest“ im Kino zu sehen: in der Rolle von Rudolf Höß, der als Kommandant des KZ Auschwitz für die Ermordung hunderttausender Juden verantwortlich war und mit seiner Familie in einem Traumhaus direkt neben dem Todeslager residierte. Die Kritik zum Film lesen Sie in unserer morgigen Ausgabe.

Müssen Sie einen Massenmörder wie Höß verstehen, um ihn verkörpern zu können?

Es fällt mir äußerst schwer, die Entscheidungen dieses Mannes nachzuvollziehen; mir ist auch völlig schleierhaft, wie er so leben konnte, in einer Villa unmittelbar neben der KZ-Mauer. Aber ich habe durch ihn verstanden, dass der Mensch ein Meister der Verdrängung ist: dass wir alle dazu fähig sind, eine ganze Menge zu ignorieren und uns eine eigene Realität zu erschaffen. Dieser Film ist ja kein Biopic über Höß; wir sehen ihn auch nicht als Monster oder als Klischee-Nazi, sondern in Alltagssituationen: An seinem Beispiel erkennen wir, dass das Menschen waren, die diese unmenschlichen Verbrechen begangen haben. So schlägt der Film die Brücke zum Heute – zu dem, was in uns Menschen für immer verhaftet ist.

Drehbuchautor und Regisseur Jonathan Glazer hat Tausende von Zeugenaussagen in den Archiven durchforstet. Hatte er eine bestimmte Vorstellung, wie Sie sich Ihrer Filmfigur nähern sollten?

Er hat immer nach Gegensätzen gesucht und meinte zum Beispiel: „Wenn Rudolf Höß ausnahmsweise die Wahrheit sagt, dann lügt er mit den Augen, und wenn seine Augen die Wahrheit verraten, dann lügt er mit dem Mund.“ Jonathan war es wichtig, dass Höß ständig etwas Widersprüchliches in sich trägt, eine konstante Anspannung, die sich am Ende des Films entlädt, wenn er von Würgekrämpfen geschüttelt wird – da erzählt sein Körper die Wahrheit: Er wehrt sich gegen die Seele, die in ihm steckt.

Glazer ließ die Höß-Villa knapp 200 Meter neben dem Originalstandort nachbauen und versteckte Kameras installieren. Wie muss man sich die Dreharbeiten vorstellen?

Mich hat es zutiefst emotionalisiert, als Deutscher nur wenige Meter vom ehemaligen KZ entfernt zu agieren – da spürt man eine enorme Verantwortung gegenüber den Opfern. Gedreht wurde tatsächlich mit bis zu zehn Kameras gleichzeitig, allerdings nur eine oder zwei Szenen pro Tag, sodass wir genügend Zeit hatten, verschiedene Varianten auszuprobieren. Dabei hat Jonathan die Szenen nie unterbrochen, es wurde immer am Stück gedreht, und wir hatten sämtliche Freiheiten, durften manchmal zehn Minuten lang improvisieren, manchmal sogar länger als eine Stunde. Mir hat das sehr gut gefallen, weil es der Arbeitsweise am Theater ähnelt und man da in einen Modus hineinkommt, in dem man gar nicht mehr über Schauspielerei nachdenkt. Das war auch Jonathans Ziel: Er wollte nicht, dass wir spielen, sondern vielmehr, dass wir sind.

Sandra Hüller verkörpert im Film Ihre Ehefrau. Wie intensiv war der Austausch mit ihr?

Extrem intensiv. Bei unseren ersten gemeinsamen Dreharbeiten für „Amour fou“ vor zehn Jahren hatten wir gleich das Gefühl, uns schon ewig zu kennen. Inzwischen sind wir eng befreundet. Wenn wir uns nicht gegenseitig schätzen und einander bedingungslos vertrauen würden, hätten wir die Normalität in der Beziehung zwischen Hedwig und Rudolf Höß gar nicht entwickeln können. Man spürt, dass wir einander wirklich zuhören und versuchen, einen gemeinsamen Rhythmus zu finden. Jeden Abend haben wir ausführlich über den jeweiligen Drehtag gesprochen. Und wir haben gesagt: Ja, es ist ein Experiment – aber komme, was wolle, wir haben uns!

Ist das eigentlich ihr Hund, der im Film um sie herumscharwenzelt?

Ja, das ist Sandras Hund. Er war auch dabei, als man Sandra und mir den Film zum ersten Mal gezeigt hat, in einem Leipziger Kino. Der Hund schien mir mäßig interessiert, aber Sandra und ich waren fasziniert, überrascht, unangenehm berührt, überwältigt – und das alles oft gleichzeitig. Ich war vollkommen geflasht von dem unglaublichen Sounddesign und fand es toll zu erleben, wie Jonathans Vision aufgegangen ist. Inzwischen habe ich den Film mehrmals gesehen, und jedes Mal habe ich erschrocken gedacht: Meine Güte, das könnte jetzt auch ich selbst sein! Das ist das Essenzielle an dieser Geschichte: dass wir erkennen, wozu wir Menschen fähig sind, wenn wir uns für die falsche Seite entscheiden. Wir alle wollen ja letztlich unser kleines Glück leben – und in uns allen schlummert auch eine gewisse Dunkelheit.

Bekommen Sie nun mehr internationale Angebote, nachdem der Film weltweit Furore gemacht hat?

Ja, es öffnen sich spürbar neue Türen. Und tatsächlich würde ich mich freuen, wenn ich bei einem weiteren internationalen Projekt mitwirken könnte – aber nur unter der Voraussetzung, dass die betreffende Rolle auch interessant ist. Kürzlich hat man mir angeboten, in einem Hollywoodfilm einen Nazi zu spielen. Das habe ich sofort abgelehnt: Nazis kommen mir so schnell nicht wieder in meine Vita! (Lacht.)

Das Gespräch führte Marco Schmidt.

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