Mustermann des Wagner-Gesangs

von Redaktion

CD-KRITIK „Parsifal“ aus der Wiener Staatsoper mit Jonas Kaufmann und einem überragenden Georg Zeppenfeld

VON MARKUS THIEL

Keine lüsterne Hochdramatische im Flower-Power-Kleid, wie’s die Traditionalisten gern haben: Diese Kundry ist Investigativjournalistin und greift schon mal zur Knarre. Auch weil überall die Gefahr lauert in diesem russischen Straflager, wo der Titelheld später sein Erlösergeschäft ziemlich routiniert erledigt und Gralsritter Gurnemanz die Mithäftlinge tätowiert.

Viel Autobiografisches schwang mit in dieser Wagner-Inszenierung an der Wiener Staatsoper, die Regisseur Kirill Serebrennikov (damals noch an Russland gefesselt) nur per Videocalls vorbereiten konnte. Doch des Digitalen nicht genug: Dieser prominent besetzte „Parsifal“ kam im April 2021 im Lockdown nur als Stream-Premiere heraus. Die Publikumspremiere folgte im Dezember darauf, dann schon mit anderen Sängerinnen und Sängern.

Was nun auf vier Silberscheiben erscheint, ist gewissermaßen der Soundtrack dazu. Und ohne die ungewöhnlichen, beklemmenden Bilder tritt naturgemäß noch stärker zutage, wie stark damals die musikalische Fraktion unterwegs war. Zumal die Gesangsfraktion dank der Mikrofontechnik sehr plastisch heraustritt und man auch beim Hören des Staatsopernorchesters fast jede Note mitstenografieren kann.

Für einen frühen Höhepunkt sorgt Gurnemanz. „Ihm neigten sich in heilig ernster Nacht…“, singt Georg Zeppenfeld rund 20 Minuten nach Beginn, und man muss innerlich niederknien vor ihm. Dass dieser Bassist gerühmt wird für seine Wortverständlich, passiert ja ständig. Aber hier hört man exemplarisch, was Zeppenfeld zum singulären Fall des Wagner-Gesangs macht. Die musterhafte Verbindung von Deklamation, Textbewusstsein und Legato-Phrasierung. Jedes Wort, jede Silbe hat Gewicht, und doch wird alles zusammengefügt zu flexiblen, belcantesken Bögen. Nichts wird forciert oder verzerrt. Wie ein ins Monumentale geweitetes Lied, ohne dass etwas ausgestellt oder doziert wird. Und irgendwann beschleicht einen die Frage: Ob der Gurnemanz jemals so vollkommen auf CD gebannt wurde?

Bei El¯ina Garanča treibt nicht nur das Outfit der kühlen Reporterin, sondern auch ihr Gesang Kundry weg vom Klischee. Keine vokale Grimasse, kein dramatischer Überschuss. Es ist eine stimmlich ausgeglichene Gestaltung ohne Äußerlichkeit. Immer kontrolliert, immer textbasiert. Problem ist nur, dass Dirigent Philippe Jordan seiner Kundry alle Verführungszeit der Welt gönnt. Während Jordans „Parsifal“-Deutung in den Gurnemanz-Passagen tatsächlich Konversationsstück ist, darf sich Kundry jede Silbe auf der Zunge zergehen lassen. Jordan ist am besten, wo sein Wagner wie selbstverständlich wirkt, wo er kapellmeisterlich um Scharnierstellen und Details weiß.

Doch dann gibt es diese anderen Momente. Die Gralsenthüllungen zum Beispiel, das Vorspiel zum dritten Aufzug, die Wiederkehr Parsifals, wo Jordan die Partitur überfordert und alles abbremst, als ob er gar nicht mehr genug kriegen kann von der Partitur. Ein Lustmusiker auf Spuren eines Kollegen, doch sind das falsch verstandene Thielemannismen.

Ludovic Tézier schlägt sich als Neuling im Wagner-Fach hochachtbar. Ein kerniger, zur Überprononcierung neigender Amfortas mit dunklem Baritonstrahl, im ersten Monolog übersteuert Tézier die Intonation auch. Wolfgang Koch ist als Klingsor eine sichere Bank. Und der Star der Produktion kann sich gegen all das nur schwer behaupten. Sicher, der Parsifal ist ohnehin eine kurze Partie. Doch ein paar mehr Dimensionen hätte Jonas Kaufmann seinem reinen Toren schon abgewinnen können. Der markige, holzige Klang, die druckvolle Emotion, das ist effektvoll. Und doch scheint es, als ob sich Kaufmann von Momentaufnahme zu Momentaufnahme hangelt. Als dieser Parsifal von einem triumphierenden Gurnemanz zum König gesalbt wird, ertappt man sich bei Lästerlichem: Ob da versehentlich die Rollen vertauscht wurden?

Richard Wagner:

„Parsifal“. Chor und Orchester der Wiener Staatsoper, Philippe Jordan (Sony).

„Parsifal“-Vorstellungen

an der Bayerischen Staatsoper mit Georg Zeppenfeld am 31. März sowie 4., 7. und 10. April;

Telefon 089/21 85 19 20.

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