„Wie kann man die Bedeutung von Musik- und Kunstunterricht so unterschätzen?“ Nicht nur Opernstar Okka von der Damerau ist entsetzt über die Pläne der Bayerischen Staatsregierung – die Phalanx der Kritiker wächst quasi stündlich. Wie berichtet, soll in den Grundschulen der Kunst-, Musik- und Werkunterricht zusammengelegt werden, was eine Kürzung aller drei Fächer bedeutet.
„Die Leute verstehen nicht, dass die Konzentrationsfähigkeit durch diese Fächer extrem gefördert wird“, sagt Okka von der Damerau, selbst Mutter zweier Söhne. Die Gehirnaktivität werde mit Kunst, Musik und Werken im für Kinder bestmöglichen Alter unterstützt. „Ich merke doch selbst, wenn ich musiziere, wie viel gleichzeitig dabei gefordert ist und angeregt wird durch das Zählen, den Rhythmus, das Achten auf Genauigkeit. Ich bin auf vielen Ebenen parallel unterwegs. Und so etwas soll nun nicht mehr unterstützt werden?“
Die Entscheidung des Bayerischen Kabinetts habe weitreichende gesamtgesellschaftliche Folgen, vor allem zu Lasten aller Kinder in Bayern, sagt Lydia Grün, Präsidentin der Münchner Hochschule für Musik und Theater auf Anfrage. „Zugang zu kultureller Bildung für die Jüngsten wird zur Sache der Eltern. Damit haben Kinder aus ärmeren Familien noch mehr als bisher das Nachsehen.“ Das sei ein schmerzhafter Einschnitt für die Nachwuchsförderung in musikalischer Bildung, „der besonders die bayerische Laienmusikkultur empfindlich treffen wird“.
Auch das Finden und Fördern von Talenten werde fundamental erschwert, so die Hochschul-Chefin. „Kinder im besten Lernalter können nicht mehr hinreichend künstlerisch, musikalisch und ästhetisch gefördert werden. Es entstehen gerade in der Begabtenförderung Defizite, die sich später nicht mehr aufholen lassen.“
Heftige Kritik kommt auch vom Tonkünstlerverband Bayern. „Zahlreiche Studien belegen die positiven Auswirkungen musikalischer Aktivitäten bei Schülerinnen und Schülern im emotionalen und sozialen Bereich sowie in Verbindung mit Motivations- und Leistungssteigerungen“, teilt der Verband mit. Bekanntestes Beispiel sei der Film „Rythm is it“, in dem Simon Rattle Kinder und Jugendliche zu erstaunlichen Leistungen motiviert habe. „Auch Projekte zur Gewaltprävention durch Musik erscheinen Erfolg versprechend.“ Die Stärkung sozialer Kompetenzen durch gemeinsames Musizieren, aufeinander hören, einander vertrauen und gemeinsame Ziele erreichen, bleibe unbestritten. „Ebenso belegt ist, wie durch Singen und Auswendiglernen von Texten die Entwicklung von Sprachfähigkeiten gefördert wird. Die Reduktion des Musikunterrichts stellt einen großen Rückschritt in der Pädagogik für Grundschulen dar.“
Auf einen weiteren Aspekt weist der Verbund der Bayerischen Kunsthochschulen hin: „Kunst und Musik sind ein wichtiger Hebel in der Inklusion und Integrationsarbeit.“ Die Pisa-Studie zeige, dass Schulen zu wenig auf stark heterogene Klassen reagieren. „Musik und Kunst fördern interkulturellen Austausch und Verständigung nicht nur von Kindern und Jugendlichen. Wer eine lebendige Gesellschaft und eine aktive Demokratie haben will, braucht einen festen Platz von Musik und Kunst im bisherigen Umfang im Lehrplan.“
Als „verheerend für die Entwicklung unserer Kinder“ bezeichnet der Bayerische Musikrat die Pläne der Staatsregierung. „Und dies nicht nur im musikalischen Bereich, der noch sehr daran leidet, dass durch Corona zwei Jahrgänge in der Nachwuchsarbeit weitgehend verloren gegangen sind.“ Das Kürzen von Musikstunden sei kontraproduktiv zu den vom Ministerium angestrebten Zielen. Und Okka von der Damerau schiebt noch einen Hinweis nach: „Da werden heute Manager in teure Yoga- oder Meditationsseminare geschickt. Die sollten lieber Musik machen oder schon früh dafür sensibilisiert worden sein – das hat denselben Effekt.“
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