Jahrzehntelang gab es die Brüder Joel und Ethan Coen quasi nur im Doppelpack: 18 Filme haben die beiden gemeinsam gedreht, darunter vielfach preisgekrönte Meisterwerke wie „Fargo“, „The Big Lebowski“ oder „No Country for old Men“. Nach dem (vorläufigen?) Ende ihrer Zusammenarbeit präsentierte Joel Coen 2021 eine düstere Adaption der Shakespeare-Tragödie „Macbeth“ mit seiner Ehefrau Frances McDormand in der weiblichen Hauptrolle. Sein Bruder Ethan überrascht nun mit der trashigen, rotzfrechen, freizügigen Lesben-Krimikomödie „Drive-away Dolls“, die an diesem Donnerstag in unsere Kinos kommt. Geschrieben, inszeniert, produziert und geschnitten hat er den Film zusammen mit seiner Frau Tricia Cooke, die zuvor jahrelang als Cutterin für die Coen-Brüder gearbeitet hatte. Wir sprachen mit dem in New York lebenden Ehepaar.
„Drive-away Dolls“ wirkt fast so, als wollten Sie sämtlichen Hochkultur-Ambitionen den Stinkefinger zeigen.
Ethan Coen: Natürlich ist es wichtig, sogenannte wichtige Themen auf die Leinwand zu bringen. Aber ebenso wichtig finde ich völlig „unwichtige“ Filme, mit denen man im Kino einfach nur abschalten und Spaß haben kann. Mich hat es schon immer gestört, wenn man die Filme, die ich mit meinem Bruder gedreht habe, als „hochgeistig“ bezeichnet und allzu ernst genommen hat. „Drive-away Dolls“ wird man wohl „tiefgeistig“ nennen müssen: Diesen Film nimmt hoffentlich niemand ernst, und er gewinnt garantiert keine Oscars. Er ist nichts weiter als ein versauter, kleiner Spaß – aber eben mit Mädels im Mittelpunkt. Tricia Cooke: Wir wollten zeigen, dass auch Frauen eine Libido haben. Ich finde, man sieht viel zu selten lesbischen Sex im Kino – und wenn, dann meist in tragischen, qualvollen Dramen. Unser Film feiert dagegen die lustvolle lesbische Liebe. Er ist auch eine Hommage an die legendären, heute leider fast ausnahmslos verschwundenen Lesben-Bars, in denen ich mich in den Neunzigerjahren herumgetrieben habe. Ich sage Ihnen: Da ging wirklich die Post ab!
Das ist insofern ziemlich verblüffend, als das Internet behauptet, Sie und Ethan seien seit 1993 verheiratet und hätten zwei gemeinsame Kinder…
Tricia Cooke: Das stimmt alles. Trotzdem bin ich lesbisch – und das habe ich Ethan auch gleich bei unserem ersten Date vor 35 Jahren gesagt. Aber wir haben uns von Anfang an glänzend verstanden; unsere Zuneigung ging stets weit über eine Freundschaft hinaus, und bis heute leben wir unter einem Dach. Wir führen nur keine sexuelle Beziehung. Jeder von uns hat noch eine andere Partnerin. Sagen wir so: Es ist kompliziert. Keine klassische Ehe, so viel ist sicher! (Lacht.)
Und wie muss man sich Ihre Arbeitsbeziehung vorstellen?
Ethan Coen: Äußerst harmonisch, denn wir teilen denselben Geschmack und denselben Humor und genießen jede Minute, die wir miteinander verbringen können. Wir verstehen uns mittlerweile fast blind, stimulieren uns gegenseitig und werfen uns ständig die Bälle zu – beim Schreiben, beim Drehen, beim Schneiden. Im Prinzip arbeite ich mit Tricia genau so, wie ich auch mit meinem Bruder gearbeitet habe. Tricia Cooke: Es gibt sogar noch eine weitere Parallele: Ethan und Joel führen ebenfalls keine sexuelle Beziehung! (Lacht.)
Die beiden Hauptfiguren in „Drive-away Dolls“ sind extrem gegensätzlich: Jamie ist eine promiske, abenteuerlustige, laute Chaotin, Marian ein prüdes, scheues, verkopftes Mauerblümchen.
Ethan Coen: Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Und ich kann hiermit offiziell bestätigen, was Sie wahrscheinlich schon vermuten: Jamie ist wie Tricia, und Marian ist wie ich!
In einer Rezension heißt es über „Drive-away Dolls“, es sei ein sehr lüsterner Film, geradezu besessen vom weiblichen Körper. Was sagen Sie dazu?
Ethan Coen: Großartig! Und nur allzu wahr! Das muss ich mir merken: „Ein sehr lüsterner Film“ – was für ein toller Slogan! Ich finde, der Spruch sollte unbedingt noch auf unser Plakat!
Das Gespräch führte Marco Schmidt.