Gesellenprüfung

von Redaktion

CD-KRITIK Wundersänger Michael Spyres und sein Anlauf zu Richard Wagner

VON MARKUS THIEL

Ein langer Anlauf war das in der Operngeschichte. Über Beethoven, Meyerbeer, Weber mit kurzer Abzweigung über Bellini – und fertig war die Wagnertenorstimme. Die heute, bedingt durch falsch verstandene Tradition (und manchmal dürftige Ausbildung), gern im Schwerlastverkehr durch die Partituren kreuzt. Sänger Michael Spyres, der Polyglotteste, Stilsicherste der Zunft, zäumt das Pferd von vorn auf. Denn eine Sache ist es, um diese Entwicklung zu wissen (und wie er im CD-Booklet klug darüber zu schreiben). Die andere aber ist: alles klanglich zu verdeutlichen.

Genau das tut der US-Amerikaner nun auf „In the Shadows“. Wie sich Spyres überhaupt in seiner Karriere vorgearbeitet hat von den Stratosphären-Flügen des Belcanto bis zur verblüffenden Demonstration, was sein spezielles Stimmfach, das des Baritenors mit seinem immens großen Tonumfang, überhaupt bedeutet. „In the Shadows“ ist auch die CD zum Terminkalender. In diesem Sommer debütiert Spyres als Siegmund in Bayreuth, den Tristan hat er in Akt zwei und konzertant schon riskiert, den Lohengrin singt er erstmals am kommenden Sonntag in Straßburg.

Wir hören auf diesem Album, wie sich die Stimme von Spyres verändert. Das helle, konzentrierte Lodern gibt es nur noch passagenweise. Die feine Mezzavoce-Kultur, das scheinbar entspannte Segeln auf dem Atemstrom, bleibt allerdings Basis seiner Gestaltung – am eindrücklichsten vorgeführt in einer Arie aus „Joseph“ von Étienne-Nicolas Méhul. Bei Gioachino Rossinis schweren Helden, in denen Spyres wie als Leicester in „Elisabetta, regina d’Inghilterra“ Tonstuckwerk auf drei Oktaven anbietet, ist er weiter konkurrenzlos.

Spyres’ Stilempfinden kommt vor allem dem Florestan aus Beethovens „Fidelio“ zugute. Nie missrät die Arie zur larmoyanten Klage, Spyres entwickelt die Szene aus liedhafter Empfindung. Wobei er nicht nur hier bestmögliche Partner hat: Les Talens Lyriques unter Christophe Rousset spielen, als habe jemand das Fenster zu den Partituren weit geöffnet, um Frischluft hereinzulassen.

Andererseits gibt es Momente, an die man sich bei Spyres gewöhnen muss. Je näher er an Wagner rückt, desto deutlicher wird das Baritonale seiner Stimme. Als Pollione in Bellinis „Norma“ sind einige Töne zu gedeckt, als wolle hier jemand Heldisches simulieren. Spyres, das kennt man von ihm nicht, macht hörbar, dass das Stück auch Vokalmaloche ist. In Rienzis Gebet aus Wagners gleichnamiger Oper klingen Stimme und Intonation etwas müde. Lohengrins Abschied (nicht die Gralserzählung) wird in Zeitlupe ausgekostet, ein Schiedsrichter hätte hier wegen Zeitspiels abgepfiffen. Dafür leistet sich Spyres als Max in Webers „Freischütz“ einen herrlichen Lapsus. „Abends bracht ich reiche Bräute“ (statt „Beute“) – das ist der charmanteste Versinger seit der Uraufführung.

Michael Spyres:

„In the Shadows“. Les Talens Lyriques, Christophe Rousset (Erato).

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