Jenseits von Schwarz und Weiß

von Redaktion

„Den gewaltsam Verstummten zuhören“ – ein Themenabend zur Staatsopern-Premiere

VON TOBIAS HELL

Wenn eine Premiere wie Mieczyslaw Weinbergs „Die Passagierin“ ansteht, dann bietet es sich gerade in diesen Zeiten an, die Diskussion über ein solches Werk hinaus auszuweiten. Wenn es nicht sogar als absolute Pflicht verstanden werden muss. Die in den Sechzigerjahren entstandene Oper thematisiert die Erinnerung an den Holocaust sowohl aus der Opfer- wie aus der Täterperspektive. Und so ergriff nun auch die Bayerische Staatsoper die Gelegenheit, um diese wichtige Münchner Erstaufführung mit einem vielfältigen Rahmenprogramm zu ergänzen.

Dies etwa mit einer Reihe von Themenkonzerten sowie einer Veranstaltung in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, für die man sich mit dem Thomas-Mann-House in Los Angeles zusammengetan hatte. In der Exilheimat des deutschen Literaturnobelpreisträgers startete jüngst die transatlantische Projekt-Reihe „Oper und Demokratie“, an der sich bis Jahresende noch Kulturinstitutionen in Köln, Hamburg und Dresden beteiligen werden.

Die Münchner Runde stand dabei unter dem Motto „Den gewaltsam Verstummten zuhören“ und brachte unter anderem den Initiator Kai Hinrich Müller mit Staatsopern-Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski zusammen. Moderiert von Andrea Thilo, erlebte man zwischen den beiden eine eloquente Diskussion über die Macht der Musik, die für Müller „die schönste, aber auch die gefährlichste Kunst ist. Eben, weil sie sich leicht politisch instrumentalisieren lässt.“

Eine Steilvorlage für Vladimir Jurowski, der sich an seine Kindheit in Russland erinnerte, wo vom kommunistischen Regime unter dem Deckmantel der Erinnerungskultur eine ganz eigene Form von Propaganda betrieben wurde. Umso wichtiger ist es beiden, die Werke von Zeitzeugen des Holocaust im Bewusstsein zu halten. So wie die Stücke aus Theresienstadt, die diesen Abend rahmten. Texte und Kompositionen von Ilse Weber, Viktor Ullmann und Gideon Klein, für die Jurowski höchstpersönlich am Flügel Platz nahm, um gemeinsam mit Altistin Noa Beinart und dem Shalom-Ensemble zu musizieren.

Wie Kai Hinrich Müller betonte, sei es „keine Selbstverständlichkeit, dass wir diese Werke haben. Vieles ist für immer verschollen. Musik aus Theresienstadt ist inzwischen zu einer Chiffre geworden, aber dahinter stehen immer noch Menschen.“ Schicksale, die auch durch Stücke wie Weinbergs „Passagierin“ ein Gesicht bekommen.

Dem seit jeher politisch engagierten Jurowski geht es hier gerade darum, „das Menschliche in allen Figuren zu finden“, um das Publikum zum Nachdenken anzuregen. „Das ist das alte Shakespeare-Prinzip. Auch bei ihm gibt es nie Figuren, die einfach nur gut oder böse sind.“ Keine Schwarz-Weiß-Malerei, die ihm die Berliner Moderatorin mit ihren Fragen hin und wieder gerne entlocken will, aber dennoch eine klare Haltung. „Als Künstler haben wir die Pflicht, diesen Geschichten und dieser Musik unsere Stimme zu geben. Die Welt muss dann selbst entscheiden, ob sie diese Stücke weiter haben will. Aber mindestens einmal müssen sie gehört werden.“ In der Hoffnung, dass wir endlich aus der Vergangenheit lernen.

Premiere

von „Die Passagierin“

am kommenden Sonntag, 10. März, 18 Uhr; Karten gibt es unter Telefon 089/21 85 19 20.

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