Eine schrecklich nette Familie

von Redaktion

Die Münchner Autorin Dana von Suffrin legt ihren neuen Roman „Nochmal von vorne“ vor

VON MICHAEL SCHLEICHER

Oh Mann, diese Frau hat es wirklich nicht leicht. Doch selten war die Überforderung derart nachvollziehbar und so krass zu spüren wie in jenem Moment, als Rosa unbemerkt ihren Vater beobachtete, als der sich heulend beim Familienhund für seinen Wutanfall entschuldigte. Rat-, hilflos und wohl auch ein bisschen fasziniert war die Tochter da angesichts des emotionalen Ausbruchs ihres Erzeugers – und „wusste nicht, was ich tun sollte, und so tat ich, was ich meistens tat: überhaupt nichts, ich bewegte mich nicht und merkte mir alles“.

Es ist vor allem der letzte Halbsatz, der viel verrät über Rosa Jeruscher, die Ich-Erzählerin in Dana von Suffrins neuem Roman. Fünf Jahre nach „Otto“, dem heftig bejubelten Debüt der Münchner Schriftstellerin, erscheint jetzt „Nochmal von vorne“. Rosa schildert darin die Geschichte ihrer Familie: Ihr Vater ist gestorben, sie muss die Wohnung ausräumen und irgendwie auch den Kontakt zur älteren Schwester Nadja wieder herstellen, die bereits vor langer Zeit entschieden hat, ihr eigenes Ding zu machen. Es ist nun nicht so, dass Rosa nicht genug eigene Baustellen hätte. Doch hat sie sich eben vieles gemerkt – nicht nur den flennenden Papa am Hals des Vierbeiners.

Dana von Suffrin, 1985 in München geboren und promovierte Historikerin, entfaltet das Panorama einer Familie, in der es mitunter heftig bebt. Für Fliehkräfte sorgen dabei nicht nur die Charaktere selbst, die stark sind, aber eben ziemliche Sturschädel. Auch all die Sehnsüchte und (enttäuschten) Hoffnungen der Eltern und ihrer beiden Töchter sind nicht allein verantwortlich dafür, dass vieles durcheinanderwirbelt. Die Zeitläufte zerrten und ziehen heftig an den Jeruschers – geschickt blickt von Suffrin daher immer wieder in der Historie zurück.

„Nochmal von vorne“ ist somit das hinreißende Porträt einer tatsächlich schrecklich netten deutsch-jüdischen Familie – wobei, bitte schön, niemand die Mischpoke in Israel vergessen sollte! Zugleich rührt die Autorin jedoch an Tieferem und findet Existenzielles in den Leben, die sie vor den Leserinnen und Lesern ausbreitet: Vor allem kreisen Rosas Gedanken freilich um den Vater, der sich stets selbst genug und daher am liebsten allein war. „Und am zweitliebsten grübelte er, denn so arbeitete sein Kopf einfach, die traurigen Gedanken kamen viel schneller zu ihm als die guten, und er sagte, das sei eine jüdische Eigenschaft, und so hätten all seine Vorfahren gelebt“.

Das hätte nun furchtbar erdenschwer oder larmoyant werden können. Nichts davon jedoch trifft auf dieses Buch zu, denn von Suffrin schreibt mit großer Gelassenheit und mit einem herrlichen Sinn für den Witz und die absurde Komik unseres Lebens. Die großen Wahrheiten verpackt die Autorin beeindruckend geschickt in Banalitäten wie dem Handspiegel der Mutter, in den Rosa blickt, bis ihr die Tränen über die Wangen rinnen. Denn „keiner erinnert uns je daran, wie kurz die Zeit ist, und so haben wir nie Gelegenheit, kurz innezuhalten und sie als kostbar zu betrachten, schließlich sind wir ja beschäftigt damit, einander die Füße zu stellen, beleidigt zu sein oder Migräneanfälle zu haben“.

Und so macht uns dieser bemerkenswerte Roman eben auch klar, dass – bezogen aufs große Ganze – sein Titel ein Wunsch ist, der unerfüllt bleiben wird.

Dana von Suffrin:

„Nochmal von vorne“. Kiepenheuer & Witsch, Köln, 235 Seiten; 23 Euro.

Lesung: Dana von Suffrin stellt ihr Buch am 23. April, 19 Uhr, im Münchner Literaturhaus, Salvatorplatz 1, vor; Karten unter Telefon 0761/888 499 99 oder online unter literaturhaus- muenchen.reservix.de.

Dana von Suffrin debütierte im Jahr 2019 mit „Otto“

Die Autorin liest am 23. April im Literaturhaus

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