„Warum nicht?“

von Redaktion

Waltraud Meier über ihr Comeback bei den Münchner Philharmonikern

Ein kurzes „Tschüss“, das war ihr letztes Wort auf der Musiktheaterbühne. Im vergangenen Oktober hat sich Waltraud Meier in Berlin mit der Klytemnästra in der „Elektra“ von Richard Strauss aus der Opernszene verabschiedet. Und nun ist die 68-Jährige wieder da – als Sprecherin. In Strawinskys Opern-Oratorium „Oedipus Rex“ ist der Star in der Isarphilharmonie zu erleben. Die Konzerte der Münchner Philharmoniker am 22. und 23. März dirigiert Santtu-Matias Rouvali.

Mal ehrlich: Wann haben Sie nach Ihrem Opern- Abschied die anschließende Party verlassen?

Ich war natürlich eine der Letzten. Da standen dann nur noch ein paar Menschen herum. Und mir taten die Füße schon längst weh!

Und dann haben Sie sich wie angekündigt belohnt.

Genau. Ich bin erst mal für 14 Tage nach New York, und es war so anders als früher. Ich hatte ja Wochen dort verbracht. Und jetzt: alles vollkommen entspannt. Ich habe mich völlig dem Tourismus hingegeben. Alles ankucken, die Füße wundlaufen und einen Champagner trinken, wann ich wollte. Es war wirklich wie eine Befreiung. Übrigens habe ich mich seit meinem Opernabschied nicht mehr eingesungen. Und ich vermisse es nicht. Ich freue mich jetzt, wenn ich in Konzerte gehe, ins Theater, in die Oper, ins Kino. Aber ich muss nichts mehr selber auf der Bühne anstellen.

Trotzdem machen Sie jetzt was selber. Wie kam es zum Engagement bei den Philharmonikern?

Ich war im Konzert von Zubin Mehta während seines Brahms-Zyklus bei den Philharmonikern. Anschließend bin ich hinter die Bühne und habe ihn begrüßt. Am nächsten Tag kam die Anfrage an meinen Agenten – in der es hieß, man habe mich in der Situation hinter der Bühne noch nicht ansprechen wollen. Aber die Idee dieses Engagements sei da gekommen. Ich kenne „Oedipus Rex“ ganz gut, weil ich die Iokaste schon gesungen habe. Da dachte ich mir: Warum nicht? Die Sprechrolle ist ja geschlechtsneutral. Bei Schönbergs „Gurre-Liedern“ dagegen finde ich, dass es ein Mann sein muss.

Aber wie wird das sein, wenn neben Ihnen die Kollegin die Iokaste singt?

Sie soll schön und mit Ausdruck singen, dann höre ich gern zu. Natürlich habe ich alles noch im Kopf und werde innerlich die Partie mitfühlen, gerade weil ich mich zurzeit wieder mit dem Stück und dieser antiken Familiengeschichte beschäftige.

Rein technisch gesehen: Müssen Sie Ihren Stimmapparat komplett anders einsetzen als während Ihrer Gesangskarriere?

Nein. Es gab ja für mich schon Sprechstrecken, etwa als Leonore im „Fidelio“. Ich hoffe, dass ich mein Fränkisch verstecken kann! Aber im Ernst: Ich bin mir der Gefahr bewusst, dass alles ein Stück weit zu pathetisch werden könnte. Natürlich muss das Sprechen im „Oedipus Rex“ eine kleine Erhöhung haben, allein deswegen, weil es sich um eine mythologische Erzählung handelt. Obwohl ich, so glaube ich jedenfalls, eine ganz sonore Sprechstimme habe, braucht es in der Isarphilharmonie sicherlich ein Mikrofon. Und ich hoffe, dass wir Zeit genug haben, um das zu balancieren. Damit ich weiß, wie viel ich geben muss.

Ist das jetzt der Auftakt zu einer neuen Karriere?

Das werden wir sehen. Es gibt gerade die Idee mit dem Bariton Samuel Hasselhorn und meinem Pianisten Joseph Breinl, einen besonderen Liederabend zu entwickeln mit mir als Sprecherin. In dem würde ich dann Briefe rezitieren oder Autobiografisches. Das soll aber auf jeden Fall ein musikalischer Abend werden. 20 Prozent ich, 80 Prozent die anderen beiden. Schau’ ma mal, ob da Interesse besteht.

Edita Gruberova hat einmal gesagt, sie habe Angst, im Ruhestand zu faul zu werden.

Diese Angst hab’ ich nicht. Ich kann ja gar nicht lange ausschlafen, weil irgendwann jemand über mich drüber läuft – nämlich mein Kater Orest.

Sind Sie denn eine disziplinierte Frau?

Ja und nein. Ich habe eine sehr disziplinierte Seite. Aber wenn die Sicherung bei mir durchbrennt, dann kann ich alles vergessen, loslassen und sagenhaft faul sein. Das konnte ich schon immer. Urlaub war und ist mir wichtig. Und zwischen den Isolden zum Beispiel mussten immer drei Tage frei sein. Ich brauchte diese Balance zwischen Anspannung und Erholung.

Sie werden nicht nur Sprecherin sein, sondern zum Beispiel auch Vorsitzende der Gesangsjury beim nächsten ARD-Wettbewerb. Es gibt also ein paar neue Bereiche, die Sie sich gerade erobern.

So ist es. Im April ist noch ein Wettbewerb im dänischen Aalborg, im Herbst dann einer in Genf. Mit normalen Meisterklassen dagegen habe ich meine Probleme. Ein Wochenende, und dann soll man als Pädagoge etwas auf die Schnelle dem Nachwuchs raten – das ist nicht mein Ding. Was ich schon gemacht habe und gern wieder tun würde: mit Profis, nicht mit Studierenden, fünf, sechs Tage intensiv arbeiten. Es geht mir dabei nicht ums Sängerische, das sollen die mit ihren Lehrern klären. Was mich interessiert, steht unter der Überschrift „Von der Interpretation zur Inkarnation“.

Das heißt?

Ich würde Textanalyse machen und herausarbeiten, was die Sängerin oder der Sänger sagen will. Danach kommt für mich erst das Wie. Ich versuche also, die Richtung umzudrehen. Den meisten geht es nämlich primär darum, wie sie etwas technisch umsetzen, dann soll der Ausdruck draufgesetzt werden. Ich war immer das komplette Gegenteil. Ich habe mich zuerst dafür interessiert, wer meine Opernfigur und was ihr Anliegen ist, wo ihre Nöte und Hoffnungen liegen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Mir geht’s schon darum, dass jemand schön singt. Aber zuerst muss er doch wissen, was er ausdrücken will.

Nochmals zum Konzert der Münchner Philharmoniker: Empfinden Sie das als eine Art Comeback? Oder als Neuanfang? Oder als Methadon-Programm für ehemalige Opernsängerinnen?

(Lacht.) Letzteres gar nicht. Und Comeback oder Neuanfang auch nicht. Vielleicht bleibt es ja ein Unikum, dann wär’s nicht schlimm. Oder es kommt vielleicht doch wieder ein Engagement. Ich nehme die Sache allerdings wie meine Opern-Auftritte verdammt ernst. Und ein bisschen Bammel davor habe ich auch. Deshalb bereite ich mich ja intensiv vor.

Hätten Sie sich eine Karriere als Schauspielerin zugetraut?

Früher schon gar nicht. Und jetzt auch nicht. Es reizt mich nicht. Wenn jetzt in loser Folge Engagements als Sprecherin kommen, dann taugt mir das. Aber ich will nicht mehr in ein Berufsleben einsteigen, dafür liebe ich meine neu gewonnene Freiheit viel zu sehr. Außerdem: Die Ansprüche, die ich an mich als Sängerin gestellt habe, hätte ich als Schauspielerin nicht erfüllen können. Ich brauchte die Musik als Inspiration. Ich weiß, was ich kann – und ziemlich gut, was ich nicht kann.

Das Gespräch führte Markus Thiel.

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