„Der einzige Mann, vor dem ich mich je gefürchtet habe, war eine Frau mit dem Namen Griselda Blanco.“ Es ist ein legendäres Zitat des kolumbianischen Drogenbarons Pablo Escobar, das auf die sechsteilige Netflix-Serie „Griselda“ einstimmt. Erzählt wird eine Art True-Crime-Story. Die Geschichte einer kolumbianischen Frau, die aus der Unterdrückung nach Miami flieht, um mit drei Söhnen und einem Kilo Koks im Gepäck den Grundstein für ein Drogenimperium in den Staaten zu legen. Die Serie ist ein Hit – nicht nur was die Streamingzahlen angeht. Sehr leicht verfällt man als Zuschauer dieser kämpferischen Patin und ertappt sich bei der Glorifizierung des Bösen. Doch wie nah ist der Netflix-Knaller an der echten Griselda Blanco, die mit 69 Jahren auf offener Straße erschossen wurde?
Selbstbestimmte Mutter, großzügige Unternehmerin, Kämpferin für die Unterdrückten und Geächteten? Menschen, die die echte Griselda Blanco kannten und diese Bekanntschaft überlebt haben, dürften angesichts des Mythos, den die Serie erzählt, nur mitleidig lächeln. Die Grausamkeit dieser Frau, die 1943 als Tochter einer Sexarbeiterin in Medellín geboren und als Kind missbraucht wurde, ist legendär. Schon früh floh sie von zu Hause, schloss sich einer Straßengang an und war an der Entführung eines elfjährigen Jungen beteiligt, bei der sie als Teenagerin ihren ersten Mord beging.
Anders als es die Serie erzählt, war Griselda Blanco bereits eine gefürchtete Drogenbaronin, als sie mit ihrem ersten Ehemann ihr lukratives Geschäftsfeld auf die USA ausweitete. Überhaupt die Männer. Drei heiratete sie. Und alle drei tötete die „Schwarze Witwe“ – aus Eifersucht, weil sie sie geschäftlich hintergingen oder nicht ernst genug nahmen. Die Drogenbehörde DEA erwischte Griselda Blanco 1984 und verurteilte sie zu 20 Jahren Haft. Während dieser Zeit wurden drei ihrer vier Söhne von rivalisierenden Drogenbanden erschossen. Am 3. September 2012 wurde die berüchtigte Killerin – mehr als 200 Leben gehen auf ihr Konto oder das ihrer Handlanger – beim Verlassen einer Metzgerei in Medellín durch zwei Schüsse in den Kopf getötet.
Netflix strickt aus dieser Lebensgeschichte, die mit Grausamkeit, Machthunger und Reichtum protzt, das Märchen einer Frau, die aus Sehnsucht nach Respekt und Anerkennung handelt. Ihre Gegner sind all die Männer, die sie missbrauchen, unterschätzen, hintergehen. Und Sofia Vargas (bekannt als Gloria aus der Serie „Modern Family“) verkörpert die Patin mit so viel Leidenschaft und Feuer, dass man ihr fast folgen möchte. Selbst im weiteren Verlauf der Serie, als Griseldas Drogenkonsum zu- und das Mitgefühl für alle anderen Menschen abnimmt, blitzt immer noch die liebevolle Mutter, die Beschützerin der „la familia“ durch.
Serienschöpfer Eric Newman weckt viel Sympathie für eine Kriminelle, die im echten Leben überaus sadistisch war. Die Glorifizierung des Bösen hat Tradition: Francis Ford Coppola verhalf der Mafia bereits 1972 mit seinem Gangster-Epos „Der Pate“ zu Ruhm. Zahlreiche Nachahmer stilisierten das organisierte Verbrechen zu einem durchaus attraktiven Genre. Und auch Griselda, wie sie uns Netflix in sechs Episoden vorstellt, hat einen großen Reiz. Eine Serienheldin mit zutiefst menschlichen Zügen – allein der echten Blanco fehlte es daran.