Achtung! Hier steht einer auf, der verändern, erneuern will. Osiel Gouneo, seit 2016/17 Erster Solist im Bayerischen Staatsballett, hat das Münchner Publikum längst gewonnen: als aufbegehrender Sklave in Juri Grigorowitschs „Spartacus“ wie auch in anderen charakterstarken Hauptrollen. In seiner Autobiografie „Black Romeo“, gemeinsam verfasst mit Thilo Komma-Pöllath, schildert der 33-jährige Kubaner seinen „Weg in der Weißen Welt des Balletts“. Will auch heißen: seinen Kampf um die Gleichberechtigung farbiger Menschen im klassischen Tanz.
Aber bevor er sprachlich die Waffen gegen Diskriminierung zückt, holt er uns hinein in seine kulturell aktive Heimatstadt Matanzas im Westen Kubas, nicht weit von Havanna. Berichtet von seinem unbeschwerten Heranwachsen – trotz der wirtschaftlich keineswegs blühenden Lage des Landes und trotz früher Trennung der Eltern. Er ist umsorgt von seinen Großeltern und seiner Mutter, die ihn in einer Ballettschule anmeldet.
2005 wechselt er an die renommierte Nationale Ballettschule in Havanna – ohne Überzeugung, ja mit einer inneren Rebellion. Bis er Feuer fängt und nur noch eines will: tanzen! Sich stilistisch verbessern, den Körper nicht schinden, sondern ihn intelligent behandeln, Tanz als Kunst und Rollen als Darstellung, als Schauspiel begreifen. Es ist ein Weg des allmählichen Verstehens, des geduldigen Umgehens mit Verletzungen.
Welche Entwicklung Gouneo durchlaufen hat, deutet im Vorwort sein Landsmann Yoel Carreno an, ein erfahrener Erster Solist und Ballettmeister zwischen Havanna und Oslo. Ähnlich wie Carreno verlässt Gouneo das traditionell klassische Kubanische Nationalballett, obwohl hochgeschätzt von der Direktorin, der weltberühmten Alicia Alonso. Auf der „Suche nach neuen Stoffen und Stilen“ gastiert er weltweit, tanzt drei Jahre im Norwegischen Nationalballett in Oslo. Es ist eine Zeit neuer Erfahrungen in einem für ihn ungewohnten nordischen Klima. Eine Erfahrung neuer Freundschaften – aber auch von Befremdlichkeiten: Es gab keine traditionelle Ensemble-Hierarchie, sprich Solisten und Corps de Ballet. Dann die erste seelische Verletzung bei der Einstudierung von John Crankos „Onegin“. Für die Rolle des Dichters Lenski und seiner Olga ist Solist Gouneo mit Partnerin vorgesehen. In den Proben gibt es jedoch drei weitere Paare, während Gouneo und Partnerin jeweils nur zuschauen dürfen. Gouneo reagiert wutgeladen. Bei einer Einstudierung von Kenneth MacMillans „Manon“ in Oslo ist er besetzt als Manons Bruder Lescaut und als ihr Liebhaber Des Grieux. Von der Premieren-Besetzung wird er jedoch gestrichen – wie er vermutet auf Forderung von MacMillans Ehefrau. Daraufhin wechselt Gouneo ans Bayerische Staatsballett.
Mit seinem Buch liefert er viel Wissen über die Kunst und den Beruf des Tanzes. Und dank Thilo Komma-Pöllath vermag er die Leser stilistisch unverkrampft mitzunehmen. Nach drei Verletzungen und einer Operation hat er mit dem vergangene Saison ausgeschiedenen Münchner Kollegen Emilio Pavan spezielle Trainingsmethoden ausgearbeitet. Gouneo kurz gefasst: „Wir wollen nach oben tanzen, den Druck von Füßen und Beinen heben, dass aus dem Tanzen ein Schweben wird.“
Also zwei Ziele: Keine Ausgrenzung wegen einer Hautfarbe und noch mit 40 und länger im Ballett konkurrenzfähig bleiben – das müsste doch zu erreichen sein. Osiel Gouneo stellt sein Buch am morgigen Dienstag im Probenhaus am Platzl vor. Der Abend ist bereits ausverkauft. Die Lesung wird aufgezeichnet und soll danach auf dem Youtube-Kanal der Bayerischen Staatsoper veröffentlicht werden.
Osiel Gouneo mit Thilo Komma-Pöllath:
„Black Romeo – Mein Weg in der Weißen Welt des Balletts“, C. H. Beck, München, 251 Seiten; 28 Euro.