So schlicht, wie Al Pacino ganz zum Schluss den Sieger der wichtigsten Kategorie „Bester Film“ verkündet („Ich sehe, hier steht ,Oppenheimer‘“), so unspektakulär verlief der gesamte Abend. Harmlos nette Unterhaltung ist die 96. Verleihung der Academy Awards in der Nacht von Sonntag auf Montag. Und der große Abräumer wenig überraschend das Werk, das im Voraus bei den Buchmachern am höchsten im Kurs stand. Sieben Mal gewinnt das bild- und schauspielstarke Drama über den „Vater der Atombombe“, Physiker J. Robert Oppenheimer. Regisseur Christopher Nolan hatte in den Verhandlungen mit möglichen Studios wie berichtet beste Konditionen herausgeschlagen: ein Produktionsbudget von 100 Millionen US-Dollar und ein entsprechendes Marketingbudget, dazu eine Kinolaufzeit von mindestens 100 Tagen und dass der Verleih drei Wochen vor und drei Wochen nach der Veröffentlichung von „Oppenheimer“ keinen weiteren Film veröffentlicht. Universal hielt sich an alles – und wurde jetzt reich mit den begehrten Goldmännern belohnt.
Man möchte angesichts solcher Platzhirsche weithin hörbar Cord Jefferson applaudieren, der seine Dankesrede für den Oscar fürs beste adaptierte Drehbuch dazu nutzt, die Studiobosse zu mehr Mut zu animieren: „Statt einen 200-Millionen-Dollar-Film macht lieber zehn 20-Millionen-Dollar-Filme! Oder 50 Vier-Millionen-Dollar-Filme!“ Seine gesellschaftskritische, schwarzhumorige Komödie „American Fiction“ beweist ja, dass selbst mit einem Budget von weniger als zehn Millionen Dollar großartige Filme entstehen können.
Ein solcher ist auch der Französin Justine Triet gelungen. Ihr Justizdrama „Anatomie eines Falls“ ist ein unvergessliches Meisterwerk. Wegen des phänomenalen Drehbuchs, das Triet zusammen mit ihrem Mann Arthur Harari geschrieben hat und für das sie beide nun völlig zu Recht mit dem Oscar belohnt werden; und wegen des einnehmenden Spiels von Sandra Hüller in der Rolle einer Frau, die im Verdacht steht, ihren Ehemann umgebracht zu haben. Die 45-Jährige ist nach 86 Jahren die erste Deutsche, die als beste Hauptdarstellerin für einen Oscar nominiert ist – und steht damit in einer kurzen Reihe mit Luise Rainer (1938) und Marlene Dietrich (1931). Schauspielerin Michelle Yeoh lobt Hüllers eindringliches Spiel, das den Zuschauer in ständiger Ungewissheit lässt, ob sie Täterin oder unschuldig trauernde Witwe ist – „und hier sind wir, in der Oscar-Nacht – und ich weiß immer noch nicht, ob sie es getan hat oder nicht“. Am Ende gewinnt dann doch Emma Stone für ihr mitreißendes Spiel in Giorgos Lanthimos’ irrem Emanzipations–Spektakel „Poor Things“. Verdient. Für Sandra Hüller ist es dennoch ein tierischer Erfolg. Im wahrsten Sinne: nicht nur Filmhund Messi, der im Publikum sitzt, klatscht kräftig mit den Pfoten. Dass Moderator Jimmy Kimmel explizit auf Sandra „Huuler“ (schwierig auszusprechen für Amerikaner) eingeht, sie gleichzeitig im zweiten nominierten Film „The Zone of Interest“ glänzt, ist beste internationale Werbung für sie und ihre große Schauspielkunst. Nur ein Witz gerät arg schief. Kimmel fasst Hüllers aktuelle Filme platt zusammen: „Sie spielt in ,Anatomie eines Falls‘ eine Frau, die wegen Mordes an ihrem Ehemann vor Gericht steht, und in ,The Zone of Interest‘ eine Nazi-Hausfrau, die in der Nähe von Auschwitz lebt. Während das für amerikanische Kinobesucher sehr schwere Themen sind, nennt man sie in Sandras Heimat Deutschland romantische Komödien.“
Hüller nimmt’s professionell. Und zeigt unter all den abgeklärten Show-Gesichtern im Publikum echte Gefühle. Wie sie angesichts der Auszeichnung „Bester nicht-englischsprachiger Film“ für „The Zone of Interest“ Tränen der Rührung, Freude, des Schmerzes angesichts des harten Themas und sich wiederholender Geschichte vergießt, geht nah. Und zeigt sie, die große Magie, die im Kino liegt. Ganz schlicht, ganz unspektakulär – und immer wieder: so wirkungsvoll.