Mit genauem Blick

von Redaktion

NACHRUF Der Münchner Filmemacher Percy Adlon ist mit 88 Jahren in Los Angeles gestorben

VON MICHAEL SCHLEICHER

Die Szene mit dem Rollkoffer verrät auch vieles über den Mann hinter der Kamera. Freilich ist es zunächst einmal Jasmin Münchgstettner, von Marianne Sägebrecht mit großem Herz, taff und auch mit liebenswerter Naivität gespielt, die da mit dem Reisegepäck irgendwo im Nirgendwo unter der Sonne Kaliforniens steht. „Out of Rosenheim“ erzählt, wie sich die Rosenheimerin, nach einem derben Streit getrennt von ihrem Mann, allein behauptet. Wie sie ihre Frau steht in einem Kaff, das Bagdad heißt und dessen Menschen so gar nichts mit dem Leben zu tun haben, das Jasmin bislang kannte.

Der Film, der 1987 in die Kinos kam, ist Percy Adlons größter Erfolg. Am Sonntag ist der Regisseur in seiner Wahlheimat Los Angeles mit 88 Jahren gestorben. „Out of Rosenheim“, diese Geschichte einer Befreiung, dieses Loblied auf die Freundschaft und auf die Familie (deren Mitglieder nicht zwangsläufig blutsverwandt sein müssen), hat jedoch nicht nur die Herzen des Publikums erobert. Das Werk erzählt einiges über seinen Schöpfer, der 1935 in München geboren wurde und am Starnberger See aufgewachsen ist. Das Motiv des Koffers, das für den Aufbruch in eine ungewisse Zukunft steht, passt zum Leben des Mannes, der eigentlich Paul Rudolf Parsifal Adlon hieß und der sich mit Aufbrüchen auskannte.

Sein Urgroßvater eröffnete 1907 das Hotel Adlon in Berlin; Percy wurde als unehelicher Sohn von Susanne Adlon und dem Tenor Rudolf Laubenthal geboren. In München studierte er Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte und Germanistik, er nahm Gesangsstunden, Schauspielunterricht – und musste doch erkennen: „Der Alltag des Schauspielers, dieses sich immer wieder neu Erfinden – das war mir nicht gegeben.“

Da war aber die Liebe zur Literatur, sie brachte ihn zum Bayerischen Rundfunk: Percy Adlon arbeitete als Autor sowie als Sprecher und begann bald, Dokumentationen und Beiträge zu realisieren, etwa für die Reihe „Unter unserem Himmel“.

Im Jahr 1978 gründete er mit seiner Frau Eleonore die Pelemele Film; sie war fortan seine Produzentin: Ja, das Loblied auf die Familie, das Porträt einer starken Frau in „Out of Rosenheim“ ist tatsächlich kein Zufall.

Zunächst kümmerte sich das Paar jedoch um den Schriftsteller Robert Walser (1878-1956). Das Dokudrama über den Schweizer, „Der Vormund und sein Dichter“, mit Rolf Illig in der Hauptrolle gewann auf Anhieb den Grimme-Preis in Gold. Es folgten Dokumentationen wie „Tim“ über das 1980 neue Phänomen der „Roller-Skater“ und Filmbiografien, etwa „Céleste“ (1981, mit Eva Mattes als Marcel Prousts Haushälterin) oder „Fünf letzte Tage“ (1982), in dem der Regisseur aus der Perspektive einer Mitgefangenen auf Sophie Scholl (Lena Stolze) blickt.

Bereits in diesen Arbeiten wird deutlich, wie zurückhaltend Adlon inszeniert. Wo andere vielleicht das Große suchen würden, setzt er auf Distanz und Prägnanz. Wie in der Tragikomödie „Zuckerbaby“ von 1985, in der – begleitet vom Rock’n’Roll eines Peter Kraus – eine Liebe in einem der lieblosesten Orte der Stadt wächst: Totengräberin Marianne (Sägebrecht) verknallt sich in die Stimme des Münchner U-Bahn-Fahrers Huber (Eisi Gulp) und versucht fortan, möglichst viel über diesen Burschen herauszufinden.

Vielleicht war eben das der Antrieb, der auch das Schaffen des Filmemachers erklärt: möglichst viel zu entdecken in den Geschichten, vor allem in den Biografien und Gefühlen der Figuren. Dass dies niemals voyeuristisch geriet, ist eine Kunst. Ganz nebenbei machte der Regisseur klar, dass „Heimat“ – nicht nur „Out of Rosenheim“ zeigt das wunderbar zart – kein Ort auf einer Landkarte ist. „Heimat“ ist in uns – und in den Menschen, die wir in unser Leben lassen. Percy Adlon hat seine Heimat im Film gefunden.

Artikel 4 von 10