Ganz ohne falsche Glorifizierung: Sir Antonio Pappano ist einer der wichtigsten, polyglottesten Operndirigenten unserer Zeit. Und hat doch vor einem Jahr Schluss gemacht mit dem Dasein als Chefdirigent eines Musiktheaters, als er das Royal Opera House in London verließ, um zum London Symphony Orchestra zu wechseln. Auch der Accademia di Santa Cecilia ist der 64-Jährige nur noch als Gast verbunden. Mit seinem römischen Ensemble bestreitet der Brite trotzdem die diesjährigen Salzburger Osterfestspiele, im Zentrum steht Amilcare Ponchiellis Oper „La Gioconda“ mit Anna Netrebko.
Sie waren fast zwei Jahrzehnte lang Chefdirigent der Accademia di Santa Cecilia. Wie fühlt sich die Rückkehr an? Eine melancholische Situation? Oder ist es wie bei einer ehemaligen Geliebten?
Überhaupt nicht. Nach meiner Zeit als Chefdirigent habe ich bereits zwei Konzertprojekte in Rom gehabt inklusive einer Tournee. Beim ersten Termin war es ein bisschen komisch. Beim zweiten, einem Verdi-Requiem, spürte ich nur noch Freude, wieder mit meinem Orchester zu arbeiten. Ich bin stolz und sehr glücklich, dass wir nun bei den Osterfestspielen sind. Es kommt sehr selten vor, dass ein Orchester mit einem solchen Projekt betraut wird.
Sie wurden für ein rein italienisches Programm nach Salzburg geholt. Was macht ein italienisches Orchester besser bei diesen Werken als ein deutsches, britisches oder amerikanisches?
Es dreht sich in diesem Fall auch um die Beziehung zwischen dem Dirigenten und dem Orchester. Und: Ich habe mich mein ganzes Leben lang mit Opern beschäftigt. „La Gioconda“ bildet eine eigenartige Brücke zwischen dem mittleren und späten Verdi aber auch zu Puccini. Es ist außerdem ein Stück, in dem Stimmen eine extrem wichtige Rolle spielen. Man muss gerade für dieses Werk Stimmen lieben, vor allem kennen. Mein Orchester hat den richtigen Zugang zu dieser Literatur – aufgrund seiner Tradition, seines Temperaments, aber auch der Empfindung für Cantabilità.
„La Gioconda“ gehört nicht zum Kernrepertoire der Opernhäuser. Wie riskant ist es, dieses Stück bei den Osterfestspielen zu bringen, wo doch traditionell nur ein schmales Repertoire gefragt ist?
Früher wurde dieses Werk sehr oft gespielt. Es hängt viel von den Sängern ab, man braucht eine Starbesetzung. Und vielleicht braucht es auch bestimmte Dirigenten, die die Besonderheiten dieses Stücks den Sängern und Musikern vermitteln können. Das meine ich jetzt gar nicht eitel, das hat mit Erfahrung zu tun. Ich hoffe jedenfalls, nein: Ich glaube, dass auch deshalb die Leute neugierig werden auf unsere Produktion mit diesem fantastischen, leidenschaftlichen Stück.
Apropos Starbesetzung: Es gibt Intendanten, die Anna Netrebko nicht mehr engagieren. Wie beurteilen Sie das?
Eine komplizierte Sache. In Großbritannien zum Beispiel gibt es diese Haltung ihr gegenüber, in Italien nicht, in Deutschland kaum. Die Situation hat auch mit den Medien zu tun. Ich denke, Anna ist eine sehr wichtige Sängerin und eine sehr nette Kollegin. Ich mag sie sehr und bewundere sie. Sie hat eine Familie in Russland. Wir alle können nicht genau wissen, was das für sie bedeutet. Es gibt hier keine einfachen Antworten.
Zurück zu „La Gioconda“: Sie haben einmal gesagt, dass hier vor allem die Melodien – wie bei vielen italienischen Opern – so überzeugen. Regie ist demnach zweitrangig?
Mein Job ist es, Regie und Musik zusammenzubringen. Man soll eine Einheit sehen, hören und spüren – das ist die große Herausforderung. Regisseur Oliver Mears ist ja Direktor des Royal Opera House in London, daher habe ich während meiner Zeit dort viel mit ihm zusammengearbeitet. Natürlich gibt es Traditionelles in „La Gioconda“, außerdem muss man dafür sorgen, dass das Publikum einen Opernabend genießen kann. Und wenn man darauf achtet, dass Worte und ihre Bedeutung szenisch schlüssig transportiert werden, dann ist Regie für mich richtig.
Nicht nur in London, auch während Ihrer Zeit an der Brüsseler Oper hatten Sie viel mit modernen Regiesprachen zu tun. Würden Sie sich als progressiven Dirigenten bezeichnen?
Ich bin ein großer Verteidiger der Regisseure – wenn sie musikalisch sind. Und ich hatte das große Glück, mit solchen Regisseuren zusammenzuarbeiten. Ich habe auch viel von ihnen gelernt, etwa wie sie mit dem Text und dem Subtext umgehen. Schon als Assistent von Daniel Barenboim hatte ich mit Größen wie Harry Kupfer, Götz Friedrich oder Jean-Pierre Ponnelle zu tun. Ich konnte sie in jeder Sekunde beobachten, das werde ich nie vergessen.
Warum wechselten Sie dann als Opernmann von Covent Garden zum London Symphony Orchestra?
Ich war 35 Jahre lang an Opernhäusern. Das ist genug, oder?
Warum sind Sie eigentlich nicht Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper geworden? Sie waren doch im Gespräch.
(Lacht.) Als das Haus vor einem Wechsel stand, war ich in Rom Chefdirigent, auch in London. Das Timing war vielleicht nicht richtig. Und ich denke mir, damit hätte ich auch einen starken Druck auf mich selbst ausgeübt. Ein neues Opernhaus – das war einfach für mich nicht der richtige Moment.
Sie bringen die Musik nicht nur durchs Dirigieren, sondern auch durch erklärende Videos oder Gesprächskonzerte dem Publikum näher. Von den meisten prominenten Kollegen vor allem aus früheren Zeiten kennt man das nicht. War oder ist das ein Fehler?
Wir Dirigenten müssen unser Produkt besser verkaufen. Und das meine ich nicht kommerziell. Es gibt viele Menschen, die keine Erfahrungen mit klassischer Musik haben. Die Schulen bieten immer weniger Gelegenheit, sich mit dieser Kunst auseinanderzusetzen. Also müssen wir die Dinge erklären. Und das nicht auf eine hochtechnische Art, sondern mit Herz. Und auch mit Elementen des Entertainments. Ich bin sehr für so etwas zu begeistern, auch auf Social Media. Die Gefahr ist nur, dass dort zu wenig Information vermittelt wird. Ein TikTok-Beitrag zum Beispiel liefert zu wenige Antworten. Man muss sich schon etwas Zeit nehmen für diese Kunst. In zehn Minuten kann man unglaublich viel erklären.
Das Gespräch führte Markus Thiel.
Informationen
zum genauen Programm und zum Vorverkauf unter
osterfestspiele.at.