Das Adrenalin ist im Münchner Werk 7 bei allen deutlich spürbar. Bei den Tänzerinnen und Tänzern, die sich auf der offenen Bühne für ihren Auftritt warm machen. Und ebenso beim Publikum, das noch keine Ahnung hat, was in der folgenden Stunde passieren wird. Aber genau das gehört eben dazu bei „Minutemade“, der Tanz-Soap des Gärtnerplatztheaters. Denn wie es bei diesem spannenden Format üblich ist, haben die kreativen Köpfe auch diesmal nur eine Woche Probenzeit. Genauer gesagt: sechs Tage, um ihre jeweilige Episode mit dem Ensemble zu entwickeln. Wobei jedes neue Stück am Schlussbild des vorangegangenen anschließen muss. Die ersten Mutigen, die 2024 in den Ring stiegen, waren nun Adam Lindner und Rafaële Giovanola, die sich am Ende im Kreise der Tänzerinnen und Tänzer feiern lassen durften.
Begonnen hatte der wilde Reigen zunächst aus einer angespannten Stille heraus. Ein Mann im Skelettkostüm klickt sich auf der oberen Ebene des Raumes durch sein Handy, macht Selfies und stöbert durch seine Playlist, während sich das Ensemble unten auf allen Vieren wie eine Meute wilder Tiere in Angriffsformation bringt. Die Beute fixierend und mit aggressiven Drohgesten darauf zukriechend – während der strategische Rückzug in sanft fließenden Schritten und mit den Armen in der fünften Ballettposition absolviert wird. Hier dürfen immer wieder Welten kontrastreich aufeinanderprallen und sich bewusst aneinander reiben, in der Bewegungssprache ebenso wie im dazu gewählten Soundtrack. Der pendelt nämlich seinerseits zwischen atmosphärischer Geräuschkulisse, schnurrenden Gitarrensaiten und stampfenden Elektrobeats, zu denen sich zwei der Charaktere aus der Masse lösen und in einer klassischen Arabesque einfrieren, während das Ensemble um sie herum zu eskalieren beginnt.
Auf dem Höhepunkt erneut ein Moment der Ruhe, durchbrochen lediglich vom erschöpften Ringen nach Atem und einem fast unmerklich vollzogenen Kostümwechsel. Ein Übergang, bei dem das Zucken der Körper vielleicht doch ein wenig zu lang dauert und die Choreografie daher etwas ausbremst. Doch das Finale nimmt zum Glück rasch wieder an Fahrt auf, wenn sich die animalischen Triebe plötzlich auf die Tanzfläche eines angesagten Clubs verlagern. Wobei es ein cleverer Schachzug ist, dass sich hier aus dem zunächst noch improvisiert wirkenden Kaleidoskop von Bewegungen langsam wieder Paare und Gruppen herauskristallisieren, die das Geschehen zunehmend verdichten.
Da ist es wirklich gemein, wenn mitten im rauschhaften Taumel auf einmal das Licht ausgeht und man mit einem schnippischen „Fortsetzung folgt“ auf nächsten Donnerstag vertröstet wird. Dann nämlich darf Choreograf Fabrice Mazliah die von Lindner begonnene und von Giovanola aufgegriffene Geschichte weitererzählen. Neue Plot-Twists und andere Überraschungen nicht ausgeschlossen.
„Minutemade“ ist auch 2024 ein Abenteuer, für das man vor dem Ballett des Gärtnerplatztheaters nur bewundernd den Hut ziehen kann. Und das Werk 7 hinter dem Ostbahnhof hat sich mit seinen steil ansteigenden Sitzreihen und der von drei Seiten einsehbaren Spielfläche erneut als ideale Tanz-Location erwiesen. So nah dran wie hier ist man selten. Weshalb sich nur hoffen lässt, dass die fruchtbare Zusammenarbeit mit der Truppe von Ballettdirektor Karl Alfred Schreiner noch lange bestehen bleibt.
Weitere Vorstellungen
am 21. und 28. März; Telefon 089/21 85 19 60.