Auf des Messers Schneide

von Redaktion

PREMIERE Elsa-Sophie Jach inszenierte „Die Kopenhagen-Trilogie“ nach Ditlevsen im Marstall

VON ALEXANDER ALTMANN

Otto Waalkes hat es schon immer gewusst: „Dänen lügen nicht.“ Die dänische Heldin in Tove Ditlevsens autobiografischer „Kopenhagen-Trilogie“ erklärt jedenfalls ehrlich, ihren ersten Mann nur geheiratet zu haben, weil er ihr Türen in den Literaturbetrieb öffnete, und ihren dritten Mann, weil er ihr als Arzt Suchtmittel besorgte. Solche Wahrhaftigkeit trifft Zuschauer bis ins Mark, deren Nerven ohnehin blank liegen an einem Theaterabend, der einem Hochseilakt im Zirkus ähnelt: Faszination und Herzklopfen gehören da untrennbar zusammen, denn in Bewunderung für die Artisten mischt sich die latente Bangigkeit, dass doch mal einer abstürzt.

Im Münchner Residenztheater (Marstall) treiben Spitzenschauspieler unseren Puls nach oben: auch Naffie Janha, Pia Händler, Cathrin Störmer, Thomas Reisinger und Max Rothbart balancieren auf des Messers Schneide, nämlich auf dem schmalen Grat zwischen psychologischem Einfühlungstheater und künstlicher Stilisierung. Während aber im Zirkus die Hochseilnummer nur fünf Minuten dauert und dann eine Clown-Einlage für befreiende Entspannung sorgt, ziehen die Akteure im Marstall ihre atemberaubende Äquilibristik zwei Stunden lang durch, weshalb man am Ende ebenso begeistert wie nervlich erledigt ist.

Vielleicht hat es also schon seinen Grund, dass solch umwerfend gute Schauspielerei heute selten zum Einsatz kommt: Die Intensität der Darstellung rückt uns derart auf den Pelz und unter die Haut, dass das kaum mehr auszuhalten ist in einer Welt, in der, anders als noch vor 30 Jahren, unsere Wahrnehmung durch den Overkill an Eindrücken ohnehin immer kurz vor dem Kollaps steht.

Durch ihre Konzentration auf hochkarätiges Schauspieler-Theater verzichtet Regisseurin Elsa-Sophie Jach freilich auf einen dezidierten Deutungsansatz.

Die in ihrer dänischen Heimat verehrte Tove Ditlevsen (1917-1976) erzählt in den Romanen der Trilogie die Geschichte eines sozialen Aufstiegs aus dem Kopenhagener Arbeiterviertel, wo die Heldin mit Bruder und Eltern in einer Zweizimmerwohnung lebt. Von früher Jugend an tut sie, was in diesem Milieu nicht vorgesehen ist, sie schreibt Gedichte, schafft es mit einigen Umwegen, aus der Unterschicht auszubrechen, und wird schließlich zur erfolgreichen Autorin. Aber mit drei gescheiterten Ehen, mehreren Abtreibungen und Medikamentensucht bleibt ihr Lebensweg dornig.

Obwohl diese packende Geschichte im Prinzip aktuell ist, solange es die Klassengesellschaft gibt, treten politische Aspekte eher in den Hintergrund angesichts der zirzensischen Präsenz, mit der die Schauspieler an diesem Abend unser Gemüt okkupieren – virtuos unterstützt vom Live-Musiker Samuel Wootton.

Und auch Marlene Lockemanns Bühnenbild wirkt in seiner illustrativen Haltung kongenial, besteht es doch aus einem Container, dessen Seitenwände maschinell verschiebbar sind: Wenn sich der Horizont der Heldin weitet, fahren sie auseinander. Aber sie können sich auch zusammenschieben und gleich einem Schraubstock Personen in beklemmender Enge zu erdrücken drohen. Die mechanisch-technoide Präzision, mit der hier innere Gestimmtheiten verbildlicht werden, entspricht der illusionslosen Härte, mit der die Heldin ihren berechnenden Egoismus beichtet. Langer, begeisterter Beifall.

Nächste Vorstellungen

am 20., 26. März sowie am 11., 17. und 20. April (alle ausverkauft); Telefon 089/ 21 85 19 40.

Die Leistung des Ensembles ist umwerfend gut

Die Bühne von Marlene Lockemann illustriert kongenial

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