„Ohne Kultur ist alles nichts“

von Redaktion

Daniel Gutmann über „Les Misérables“

Ein Multitalent: Daniel Gutmann hat nicht nur sein Gesangs- und Gitarrenstudium erfolgreich absolviert, sondern zugleich Zehnkampf als Leistungssportler trainiert – und verfügt außerdem über einen Abschluss in Sportwissenschaften. Nebenbei ist der Niederösterreicher Frontmann und Songschreiber der preisgekrönten Country-Band The Groovecake Factory, die am 8. September mit einem Konzert im Münchner Rattlesnake Saloon ihr zehnjähriges Bestehen feiert. Vor allem aber gehört der 32-jährige Bariton seit 2019 zum Ensemble des Staatstheaters am Gärtnerplatz, wo er unter anderem in den Mozart-Opern „Die Zauberflöte“ (als Papageno), „Così fan tutte“ (als Guilelmo) und „Die Hochzeit des Figaro“ (als Graf Almaviva) zu sehen war – aber auch als schlitzohriger Diener Dandini in „La Cenerentola“, als verliebter Trottel Egon in „Der Vetter aus Dingsda“, als eitler Schönling Max in „Tootsie“ oder als rachsüchtiger Notar Dr. Falke in „Die Fledermaus“. Am 16. April gestaltet er am Gärtnerplatz gemeinsam mit Brigitte Fassbaender ein Gesprächskonzert, und ab 22. März steht er dort in der Münchner Erstaufführung des Musical-Welterfolges „Les Misérables“ in der Rolle des fanatischen Polizeiinspektors Javert auf der Bühne.

Freuen Sie sich, wenn Sie Ihrem Nachnamen mal keine Ehre machen und ordentliche Bösewichte verkörpern dürfen?

Tatsächlich habe ich schon sehr viele lustige Rollen übernommen – das liegt mir auch. Aber umso mehr macht es mir jetzt Spaß, die dunkleren Antagonisten zu spielen und Dinge rauszulassen, die ich sonst nie zeigen kann oder will, weil sie eigentlich nicht meinem Naturell entsprechen. Gerade Javert ist eine interessante Figur: Er denkt radikal schwarz-weiß, bis er schließlich mehr und mehr aufweicht und erkennen muss, dass die Welt eben nicht schwarz-weiß ist. Daran geht er im Endeffekt zugrunde. Seine letzte, intensive Szene, in der er in kürzester Zeit eine wahnsinnige Entwicklung durchmacht, finde ich ungemein spannend zu spielen – und sein tödlicher Sprung von der Brücke ist ein dramaturgisch starkes Finale.

„Les Misérables“ rührt zu Tränen – nicht zuletzt, weil Komponist Claude-Michel Schönberg hemmungslos in die Vollen geht. Nachdem Ihre Schumann-CD den Titel „Tränenfluss“ trägt, haben Sie vermutlich nichts dagegen…

Ja, ich mag Kitsch tatsächlich ganz gern. Ich mag auch Operetten. Und „Les Mis“ finde ich großartig komponiert – das muss man ja erst einmal schaffen, all diese Emotionen im Publikum auszulösen. Als ich das Musical mit großem Orchester als Zuschauer erlebt habe, sind auch bei mir die Tränen geflossen. Hinzu kommt, dass wir wirklich eine tolle Besetzung haben. Man kann das Stück auch anders machen, aber wahrscheinlich nicht besser.

Stimmt es, dass die komplette Besetzung vom Starproduzenten Cameron Mackintosh, der die Stückrechte besitzt, abgesegnet werden musste?

Ja. Jedes Ensemblemitglied hat hier im Haus ein Video von sich gemacht; das wurde nach London geschickt und gesichtet. Ich war sehr froh, als ich grünes Licht bekam, denn ich hatte schon ein bisschen Angst, man könnte mich vielleicht ablehnen mit der Begründung, ich wäre noch zu jung für die Rolle.

Fällt es Ihnen leicht, eine so grausame, komplexe Rolle wieder abzustreifen?

Interessanterweise fällt mir das bei Javert nicht schwer, was wohl auch daran liegt, dass er sich am Ende umbringt. Bei Mozarts Graf Almaviva, der bis zum Schluss mit großer Aggressivität agiert, hatte ich größere Probleme, die Figur wieder loszuwerden. Ein befreundeter Schauspieler meinte, da hätte jeder so seine Tricks – er selbst geht zum Beispiel nach einer Vorstellung kalt duschen. Ich habe das auch versucht, es hat aber bei mir nicht ganz so funktioniert, wie ich wollte. Vielleicht brauche ich einfach, wie so oft, den Sport als Ausgleich, um runterzukommen.

Gibt Ihnen der Sport die nötige Ausdauer und Disziplin für Ihre Bühnenauftritte? Oder ist das ein Klischee?

Nein, das ist definitiv so. Vor allem für Musiktheateraufführungen finde ich körperliche Fitness entscheidend: Je fitter man ist, desto weniger gerät man außer Atem – und desto mehr kann man auf der Bühne auch machen, gerade in körperlich anstrengenden Inszenierungen. Heutzutage gibt es ja – insbesondere auch am Gärtnerplatz – meist eine lebendige Personenregie, anders als früher, als die Sänger oft nur statisch an der Rampe herumstanden. Das war übrigens der Grund, weshalb ich als Jugendlicher so meine Schwierigkeiten mit dem Genre Oper hatte.

Wie kann man Ihrer Meinung nach junge Leute für die Oper begeistern?

Indem man ihnen gute Aufführungen bietet. Man muss einfach die Geschichte spannend erzählen – die Schauspielerei spielt dabei eine große Rolle. „Die Hochzeit des Figaro“ dauert mehr als drei Stunden, und trotzdem sind die Schulklassen, die in unseren Vorstellungen am Gärtnerplatz sitzen, total begeistert. Man darf natürlich auch die Basis an den Schulen nicht wegkürzen. Es gibt mittlerweile viele Studien, die zeigen, dass Kunst, Musik und Sport für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen die wichtigsten Schulfächer sind. Und ohne Kultur ist alles nichts!

Das Gespräch führte Marco Schmidt.

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