Tradition trifft Innovation

von Redaktion

Staatsorchester interpretiert Schönberg, Respighi und Brahms

Die Musikgeschichte lebt vom Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Innovation, ganz besonders zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Diese Ambivalenz bestimmt die erste Hälfte des vierten Akademiekonzerts, das Vladimir Jurowski und sein Bayerisches Staatsorchester mit Arnold Schönberg einleiten – dessen atonale Klangwelten ohne wirkliche Kenntnis seines Werks oft pauschal abgelehnt wurden. Auch die „Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene“ ist zwölftönig angelegt und verlangt ein paar Minuten der Eingewöhnung, dann aber entfaltet sich der besondere Reiz, der darin besteht, dass das Gehör nicht von vorhersehbaren harmonischen Entwicklungen geleitet wird, sondern Struktur und der Ausdruck der Musik in den Vordergrund rücken.

Leichter macht es dem Publikum Ottorino Respighi, der sein „Concerto gregoriano“ 1921 komponierte, knapp zehn Jahre vor Schönbergs „Lichtspielszene“. Inspiriert von den liturgischen Klängen vorbarocker Musik, suchte er Inspiration in der Vergangenheit. Dass die konzertante Gegenwart im Nationaltheater zu leuchten begann, ist Frank Peter Zimmermann zu danken, der seine Geige singen lassen kann wie kaum ein anderer: unglaublich zart und zugleich furios-virtuos.

Nach der Pause war dann ein Paradox klassischer Musikkultur zu hören, nämlich eine seltsame Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Denn die Serenade Nr. 1 von Johannes Brahms entstand zwar ein Jahrhundert vor den zuvor gehörten Werken – und bildet doch den Status quo aktueller Hörgewohnheiten. Nichts gegen den Wohlklang dieser unsterblichen Musik, die Jurowski und sein Klangkörper feinfühlig und differenziert interpretieren; doch wird die Vorhersehbarkeit der harmonischen Entwicklungen allzu ohrenscheinlich in Hörweite von Respighi und Schönberg – es fehlt eben das Überraschungsmoment, das sich im Spannungsverhältnis von Tradition und Innovation entfaltet. ANNA SCHÜRMER

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