„In Wahrheit ist sie eine sehr starke Persönlichkeit“: Eleonora Buratto als Tosca, Regisseur Kornél Mundruczó verlegt die Handlung ans Ende der 1960er-Jahre. © Wilfried Hösl
Seit ihrem Debüt bei den Salzburger Festspielen 2009 hat sich Eleonora Buratto zu einer der führenden lyrischen Sopranistinnen entwickelt. Geboren 1982 in Mantua, studierte sie am Konservatorium ihrer Heimatstadt und bei Luciano Pavarotti. Heute singt sie an den renommiertesten Häusern der Welt. Nachdem sie 2023 als Desdemona in Verdis „Otello“ erstmals an der Bayerischen Staatsoper zu sehen war, feiert sie dort an diesem Montag ihr Rollendebüt als Titelheldin in Puccinis „Tosca“. Bei unserem Gespräch in der Rheingold-Bar im Nationaltheater entpuppt sie sich als völlig unprätentiös und offenherzig: Sie verrät köstliche Familienrezepte, zeigt Fotos von ihrer Katze Griselda, die sie seit zwei Jahren auf all ihren Reisen begleitet, und würzt ihre Antworten oft mit einem wunderbar ansteckenden Lachen.
Stammen Sie aus einer musikalischen Familie?
Nein. Meine Eltern mochten zwar Volkstänze, aber mit klassischer Musik hatte niemand aus meiner Familie etwas am Hut. Ich hingegen habe schon als kleines Mädchen wahnsinnig gern gesungen – anfangs etwa Lieder aus Zeichentrickfilmen. Mit 15 coverte ich in einer Rockband Songs von Alanis Morissette, Aretha Franklin oder Tina Turner. Zur selben Zeit begann ich mit Klavierunterricht, wobei ich mich allerdings als furchtbar untalentiert erwies. Doch mein Klavierlehrer steckte mich zudem in einen Chor, den er leitete, und meinte schließlich: „Du solltest unbedingt Gesang studieren.“ Eigentlich durfte man das erst mit 16, aber das Konservatorium in Mantua drückte ein Auge zu. Damals wusste ich noch nicht einmal, dass ich dort nur klassischen Gesang studieren konnte, nicht Pop oder Rock.
Puccini ist ein Meister im Erwecken großer Gefühle. Können Sie Puccini singen, ohne zu weinen?
Das fällt mir tatsächlich oft sehr schwer. Zum ersten Mal habe ich das bei meinem Debüt als „Madama Butterfly“ gemerkt – da war ich so traurig, dass man mich kaum ansprechen konnte. Und bei „Suor Angelica“ bin ich sogar mitten in der Probe in Tränen ausgebrochen. Da wurde mir klar, dass ich meine Emotionen sorgfältig ausbalancieren muss. Natürlich muss ich auf der Bühne etwas fühlen, um das Publikum berühren zu können – aber ich darf eine bestimmte Linie nicht überschreiten, denn sonst kann ich nicht weitersingen.
Würden Sie Puccini als profunden Kenner der weiblichen Seele bezeichnen?
Unbedingt. Für mich blickt er mit modernem Einfühlungsvermögen auf das 20. Jahrhundert. Es ist sicher kein Zufall, dass in fast allen seinen Opern Frauen die Protagonistinnen sind. Mich fasziniert seine Fähigkeit, tief in die Komplexität weiblicher Emotionen einzutauchen – ähnlich wie sein Zeitgenosse Sigmund Freud, allerdings nicht mittels Psychoanalyse, sondern durch seine Musik.
Zur Titelfigur in „Madama Butterfly“ fanden Sie erst spät einen Zugang. Ging es Ihnen mit Tosca ähnlich?
Ja. Als ich die Oper vor vielen Jahren das erste Mal sah, hielt ich Tosca für krankhaft eifersüchtig, oberflächlich und ein bisschen dumm. Nach eingehendem Studium der Partitur und des Librettos muss ich zugeben, dass ich mich geirrt habe. In Wahrheit ist sie eine sehr starke Persönlichkeit. Anstatt sich vom sadistischen Polizeichef Scarpia erpressen zu lassen, entschließt sie sich, ihn umzubringen. Das erfordert ebenso eine Menge Mut wie ihr Freitod. Auch ihre Eifersucht kann ich verstehen: Sie entspringt ihrer leidenschaftlichen Liebe. Ich habe mich daran erinnert, dass auch ich zu Beginn meiner Liebesbeziehung extrem eifersüchtig war – bis ich erkannt habe, dass das ungesund ist, dass ich meinem Freund trauen kann und dass es deshalb überhaupt nichts macht, wenn andere Frauen ihm lüsterne Blicke zuwerfen.
Eigentlich spielt die Oper über die tragische Liebe zwischen der Sängerin Tosca und dem Künstler Cavaradossi im Jahr 1800. Wie man hört, verlegt Regisseur Kornél Mundruczó die Handlung ans Ende der 1960er-Jahre, als Maria Callas mit Pier Paolo Pasolini „Medea“ drehte.
Ja, und für die Folterszenen der Oper hat sich Kornél von Pasolinis „Die 120 Tage von Sodom“ inspirieren lassen, weshalb er uns Sängern empfahl, den Film anzuschauen. Das habe ich auch getan, mit meinem Freund – und ich war total schockiert, konnte oft nicht hinsehen und musste mich beinahe übergeben. Doch zwei Tage später hatte ich das Bedürfnis, über den Film zu reden: Schließlich behandelt er wichtige Themen wie Machtmissbrauch und Zerstörungslust.
2023 haben Sie gesagt, dass Sie mit Ihrem Tosca-Debüt noch ein paar Jahre warten wollten. Wie hat Intendant Serge Dorny es geschafft, Sie umzustimmen? Hat er sich von Scarpia inspirieren lassen und Ihren Freund gefoltert?
Er hat mich viele Male angerufen, einmal sogar an meinem Geburtstag, ohne das zu wissen. Und als ich es ihm verriet, hat er mir sofort am Telefon ein Ständchen gesungen. Letztlich hatte er überzeugende Argumente dafür, dass dies der richtige Moment für meine erste Tosca ist: Es ist ein wunderschönes Theater mit einer tollen Akustik. Es ist keine Wiederaufnahme, sondern eine Neuproduktion, sodass man fünf Wochen Zeit für Proben hat, in denen man in die Rolle hineinwachsen kann.
Haben Sie noch berufliche Träume?
Ach, einige meiner Träume erfüllen sich schon in naher Zukunft: In der kommenden Saison feiere ich am Royal Opera House in London mein Rollendebüt als Leonora in Verdis „Troubadour“, im September singe ich zum ersten Mal an der Pariser Bastille-Oper, und an Ostern arbeite ich in Baden-Baden erstmals mit Kirill Petrenko zusammen. Nur die Norma fehlt mir bislang noch in meinem Wunsch-Repertoire. Aber wer weiß, vielleicht meldet sich ja an meinem Geburtstag mal wieder ein Intendant? (Lacht.)