PREMIERE

Puccini mit Fragezeichen

von Redaktion

„Tosca“ als Kino-Beschwörung an der Bayerischen Staatsoper

Der Regisseur und seine Muse: Cavaradossi alias Pasolini (Charles Castronovo) und Tosca (Eleonora Buratto). © Wilfried Hösl

Geteiltes Leid: Während Scarpia (Ludovic Tézier) von Tosca (Eleonora Buratto) nur das Eine will, wird Cavaradossi (Charles Castronovo) im Keller gefoltert. © Wilfried Hösl

Alle seine Sterne dürfen vor der Hinrichtung noch einmal leuchten, und zwar in Schwarz-Weiß. Zu seinem „E lucevan le stelle“ bringt dieser Cavaradossi eine Reihe von Filmprojektoren in Stellung. „Mamma Roma“, „Teorema“, natürlich „Medea“ mit der Callas, diese Ausschnitte flimmern auf den Wänden. Eine Lebensbilanz. Ein Außenseiter schaut zurück auf seine vom Establishment bekämpfte Kunst. Wir schreiben das Jahr 1975, so will es diese Operndeutung, und der Tenor-Held aus Giacomo Puccinis „Tosca“, so will es Regisseur Kornél Mundruczó, ist kein anderer als der im selben Jahr ermordete Kollege Pier Paolo Pasolini.

Ausgerechnet „Tosca“ also, wo doch Verortung und Datum wie bei kaum einem anderen Stück festgezurrt sind. Rom, die Nacht vom 17. auf 18. Juni 1800, das schrieben Puccini, Librettist Luigi Illica und Vorlagedichter Victorien Sardou vor. Und entstanden ist daraus eine Oper, die so viel Eigenenergie mitbringt, so schlüssig und stringent aufs Essenzielle destilliert ist (wie vielleicht nur noch „Elektra“ oder „Wozzeck“), dass sie wie von selbst läuft: Warum also, das Fragezeichen schwebt über dieser Premiere der Bayerischen Staatsoper, noch etwas draufsetzen? Oder, kürzer: Braucht Puccini Hilfe?

Mundruczó setzt einiges voraus, vor allem Kino-Kenntnis. Mehrere Ebenen überblenden sich. Seinen Cavaradossi/Pasolini sehen wir anfangs bei Dreharbeiten für „Die 120 Tage von Sodom“, im Original „Saló“. Und Schauplatz ist tatsächlich der Filmspielort, eine Villa am Gardasee, wo faschistische Perverslinge üble, abstoßende, tödliche Spiele mit gefangenen Jugendlichen treiben. Das Werk wurde vielfach verboten, auf der Bühne des Nationaltheaters ersteht es in Szenenfetzen mit Figurenzitaten nun neu.

Polizeichef Scarpia ist offenbar ein Sittenwächter, selbst mit krankhafter Sexualität geschlagen. Als er Cavaradossi im Keller misshandeln lässt, wird das zur Folter-Performance. Und Tosca, die Sängerin, bei der die Geschichte von Pasolinis Freundin und Muse Maria Callas widerhallt, wandelt zwischen beiden Welten, woran sie letztlich zerbricht. Für ihr „Vissi d’arte“ darf sie aus der Szenerie treten, Mundruczó inszeniert das als großen Diven-Moment an der Rampe. Eleonora Buratto nutzt das, es wird der Höhepunkt des Abends.

Ursprünglich war Anja Harteros für diese Produktion vorgesehen, das ist spätestens jetzt vergessen. Eleonora Buratto kommt aus dem Lyrischen, hat ihre Stimme aber auf natürliche Weise geweitet. Vehemenz, ein triumphales Lodern hört man, aber auch kluge Kontrolle, keine emotionale Überspannung und, das macht dieses Vokalporträt so herausragend, viel Substanz im Leisen, ein reiches Melos. Charles Castronovo, obgleich als Pasolini-Widergänger ein glaubhafter Typ, hat es nicht nur deshalb schwer. Den Sprung aus dem lyrischen Fach ins Dramatischere hat dieser hochverdiente Tenor nicht ganz geschafft. Die Stimme klingt grau, glanzlos, muss unter Druck entfaltet werden, auf seine langen „Vittoria“-Rufe legt sich prompt ein Kratzer. Ludovic Tézier scheint als Scarpia mit den Schwarztönen seines Baritons zu jonglieren. Die Stimme ist ideal zentriert, gehorcht im Parlando genauso wie in heftigen Entladungen. Und doch ist das kein Bösewicht aus der Klischee-Kiste, sondern – wohl auch dank Mundruczó – ein Fiesling, dem man den Mord ebenso abnimmt wie seine Grandezza.

Wie stark das Stück von Natur aus ist, sieht man im zweiten Akt. Da lässt sich Mundruczó zurückfallen auf den traditionellen „Tosca“-Thriller zwischen Titelheldin und Scarpia – abgesehen von der doppelten Bühne inklusive Folterkeller, die ihm von Monika Pormale gebaut wurde. Cavaradossi, sonst gern aufs Flachrelief eines Liebes- und Folteropfers verengt, wird durchs Konzept zwar aufgewertet. Doch welche Stellung diese Pasolini-Figur im Italien der Siebzigerjahre zwischen Wirtschaftskrise und faschistischen Attentaten hat, wie sehr sie um die Freiheit ihrer Kunst kämpft, warum sie angefeindet wird und doch vom bigotten Establishment (heimlich) verehrt wird, das sieht man nur ansatzweise.

So versiert Mundruczó seine Figuren führt und beschäftigt, so spannend manches erzählt ist, so sehr man also (vielleicht widerwillig) dranbleibt, so sehr verirrt sich der Regisseur doch im Wald seiner Prämissen. In den schwächsten Momenten bewegt sich der Abend zwischen Bebilderung und Überfrachtung. In seinen stärkeren lässt er einiges ahnen von den Konflikten in einem Staat, der Hinterfragungen und Widerstand (auch seitens der Kunst) nicht duldet – da ist das Italien von 1975 nicht so weit entfernt vom Jetzt.

Der Soundtrack zu alledem ist pure Konvention. Das Imponiergehabe von Puccinis Partitur ist bei Dirigent Andrea Battistoni zu spüren. Vieles ist wuchtig, mit kräftigem Farbauftrag. Battistoni verlangt Starkstrom, beim Staatsorchester kommt das nur bedingt an, ermüdet auch in seiner Dauer-Power. Wenn Puccini im unteren Dezibelbereich operiert, wird das gleich zelebriert. Eine Interpretation mit Kurzzeit-Effekten. Dass Battistoni nach der Pause ausgebuht wird, überrascht dann doch: An diesem Ort gab es bis hinauf zur Chefetage schon dürftigere Deutungen. Dass Mundruczó sich den Buh-Sturm der Gala-Gemeinde abholte, war dagegen erwartbar. Und irgendwie apart. Endlich mal kein übliches Premieren-Phlegma im Haus. MARKUS THIEL

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