NEUERSCHEINUNG

Die ruinierten Helden

von Redaktion

Donna Leons 33. Brunetti-Fall ist kein klassischer Krimi

Bei einem Suizidanschlag im irakischen Nasirya kamen italienische Carabinieri ums Leben, auch davon handelt „Feuerprobe“, der neue Roman von Donna Leon. © Giuseppe Giglia

Donna Leon erzählt davon, wie Gewalt für kriminelle und politische Zwecke missbraucht wird. © Sebastian Gollnow

Wie passen die Prügeleien von sogenannten Babygangs im jetzigen Venedig und ein Attentat-Feuersturm im irakischen Nasiriya auf die Friedenstruppen von einst zusammen? Diese Fragestellung legt Donna Leon in „Feuerprobe“ vor, dem 33. Fall von Commissario Brunetti. Es ist Frühling in Venedig und, was Verbrechen angeht, nicht viel los. Die Burschen, die eines Nachts aufeinander eindreschen, machen keine großen Probleme. Sie laufen tölpelhaft den Polizisten in die Arme, lassen sich pädagogisch einschüchtern – bis auf einen – und werden von ihren zumeist geschockten Eltern in der Polizeistation abgeholt. Bis auf einen.

Er ist nicht jener unverschämte Alessandro, der beim Anblick von Commissario Claudia Griffoni läppisch-machohaft gepfiffen hat und den uns Leon später als Jung-Duce-Abziehbild präsentieren wird. Er ist der Bub, der außerhalb der Horde richtig nett ist. Das bekommt die Kriminalbeamtin schnell mit, als sie Orlando nach Hause ins Castello, ein nicht-nobles „Viertel“ (in Venedig gibt es genau genommen Sechstel), bringt. Er ist ebenso der Junge, der, obwohl er die klaren Regeln der Mathematik beherrscht, nicht präzise denken kann. Durch den manipulativen Proto-Faschisten lässt er sich zu einer Feuerprobe verleiten, die seinen Vater das Leben kosten wird.

Dieser Dario Monforte gilt als „Held von Nasiriya“, der als Carabiniere zwei Kameraden bei dem Suizidanschlag im Irak das Leben rettete. Seine Vita durchleuchtet Brunetti auf Bitten seines Chefs, Vice-Questore Patta, inoffiziell, weil eine reiche Amerikanerin ihn eventuell anstellen möchte.

Die Nachforschungen zerlegen nach und nach das Heldenimage. Donna Leon ist jedoch weniger der Hinweis auf Raubkunst und Waffenhandel wichtig, als der Versuch, das unendliche Leid der Menschen zu schildern, die von den Flammen körperlich und seelisch verstümmelt wurden. Das beschreibt sie so wahrhaftig wie respektvoll und ist sich doch voll bewusst, es nie wirklich nachvollziehbar darstellen zu können.

Die US-amerikanische Schriftstellerin, die lange in der Lagunenstadt gelebt hat und nun in der Schweiz wohnt, erzählt nicht nur von dem entsetzlichen Phänomen der Gewalt um der Gewalt willen, sondern auch davon, wie es für kriminelle und politische Zwecke instrumentalisiert werden kann. Dabei streift sie die Themen Femizide, Hass auf Kunst und Kultur. Ihr neuer Roman ist also kein klassischer Krimi à la „Wer war der Täter?“ Zu ermitteln gibt es nichts, denn die Burschen sind nicht volljährige. Die Neugier von Brunetti, Griffoni und der unverzichtbaren Signorina Elettra darf erst offiziell werden, als Enzo Bocchese, der Chef der Spurensicherung, überfallen und seine heißgeliebte Sammlung alter Statuetten fast zerstört wird. Da geht sogar der ansonsten nervige Vice-Questore Patta in die Offensive, unterstützt Brunetti zu dessen totaler Verblüffung und goutiert die, um es mal so zu sagen, unkonventionellen Computertricks von Elettra.

Am Ende wissen das Team und wir alles – selbst die trostlose Wahrheit, dass nichts daraus gelernt werden wird. Dafür bietet uns Donna Leon einen feurigen Showdown, den sie perfekt in Szene setzt, inklusive einer Verbeugung vor der venezianischen Feuerwehr, die naturgemäß per Schiff heranrauscht. SIMONE DATTENBERGER

Donna Leon:

„Feuerprobe.
Der dreiunddreißigste Fall von Commissario Brunetti“. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Diogenes Verlag, Zürich, 328 Seiten; 26 Euro.

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