Eine Geburt als Zeichen der Hoffnung? Szene aus „Die Verteidigung des Paradieses“ mit Sebastian Brandes und Nadège Meta Kanku. © Armin Smailovic
Das Setting wirkt doch schon mal zünftig: Ein bayerisches Holzhütterl mit Fensterläden und Geranienschmuck hat Bühnenbildner Michael Köpke in die Therese-Giehse-Halle der Münchner Kammerspiele gestellt. Aber der Schein trügt natürlich, denn die Ganghofer-Kulisse ist Schauplatz einer vogelwilden Science-Fiction-Dystopie irgendwo zwischen „Mad Max“ und Komödienstadel, was man schon daran sieht, dass einer der Akteure zur Bundlederhosn eine militärische Tarnweste trägt.
„Die Verteidigung des Paradieses“ heißt das Endzeit-Epos des Augsburger Autors Thomas von Steinaecker, das in einer Zukunft nach dem Klimawandel spielt: Der Rhein ist durch den Anstieg des Meeresspiegels zum See angeschwollen, aber auf dem verbliebenen Festland leben die Menschen in einer bequemen Hightech-Welt.
Die Inszenierung ist ein multimedialer Erlebnispark
Erst als die meisten „Hitzeschilder“ kollabieren, verwandelt sich Europa in eine Hölle, doch einem kleinen Grüppchen gelingt es, auf der Alm in den Berchtesgadener Alpen diese Apokalypse jahrelang zu überleben. Bis auch ihr lokaler Hitzeschild birst und sie sich als Flüchtlinge durch die Ebene kämpfen müssen.
Regisseur Gernot Grünewald hat aus dieser Weltuntergangsvision kein Theaterstück gemacht, sondern einen Multimedia-Erlebnispark aus Video, Hörspiel, Geisterbahn und Virtual Reality, in dem aber zugleich lebendige Schauspieler ganz analog eine Art Freakshow aufführen. Das Publikum wandert folglich, in mehrere Gruppen aufgeteilt, von einer Station dieses Theater-Parcours zur nächsten und taucht dabei zumindest ansatzweise gleichsam selbst in das Romangeschehen ein.
Nach dem brüchigen Anfangs-Idyll auf der Alm dürfen wir uns auf schwarze Riesenkissen fläzen, den Blick nach oben richten und über Kopfhörer einer Passage aus dem Buch lauschen. Heftiger wird es dann, wenn man eine Virtual-Reality-Brille bekommt und quasi gemeinsam mit den Helden in silbernen Hitzeschutzanzügen durch die sehr suggestiv dargestellte Todeszone schlafwandelt: über Autobahnen voller ausgebrannter Fahrzeugwracks, ständig in Gefahr, massakriert zu werden in einer gesetzlosen Wüstenwelt. Und schließlich verschachern die beiden Anführer die jüngste Frau der Gruppe als Vergewaltigungsopfer an eine Schleuserbande, um aus diesem Albtraum zu entkommen.
Darauf folgen die intensivsten Szenen des Abends, wo die Zuschauerinnen und Zuschauer in die Rolle der Protagonisten schlüpfen und als Flüchtlinge auf einer Fähre von Sklavenhändlern („Headhuntern“) landen: Medizinische Weißclowns mit vieräugigen Affenmasken rufen jeden einzeln auf, dann tritt man allein in eine dunkle, enge Kabine und erlebt über Kopfhörer einen Gesundheitscheck. Aber Rettung naht, denn die rosaroten Riesenhasen, Roboter mit französischem Akzent, die auch nicht ganz geheuer sind, meutern gegen die Sklavenhändler und befreien uns.
Flugs geht es also in den dunklen Keller des Gebäudes, wo wir, eine Hand am Sicherungs-Seil, im Gänsemarsch durch dichten Theaternebel wanken, der, so erfährt man, „die französischen Sümpfe“ darstellt. Und ohne zu viel zu verraten – das Ende gestaltet sich tatsächlich eher tröstlich, wiewohl das Paradies der Alm unwiederbringlich verloren ist.
Auch wenn einem manche Szenen an die Nieren gehen (und der Rhythmus sich erst noch einspielen muss) – insgesamt erlebt man bei diesem theatralen Kreuzweg ein gut gebautes und auch technisch beeindruckendes Stück Untergangs-Kulinarik, quasi eine Wohlfühl-Katastrophe zum Mitfiebern. Aber wen wundert’s: Solange wir noch genug Zeit und Geld haben, das Paradies, also Deutschland, wahlweise am Hindukusch oder in der Ukraine zu verteidigen, scheint die (Klima-)Apokalypse vielleicht doch nicht das allerdrängendste Problem zu sein, sondern eher der Stoff, aus dem die schaurig-schönen Träume sind. ALEXANDER ALTMANN
Nächste Vorstellungen
am 9., 12., 13. und 16. Juni;
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