Heftig beklatscht: Eleonora Buratto. © Ennevi Foto
Zum Auftakt des Festivals ließ er die italienische Hymne erklingen: Maestro Riccardo Muti. © Paola Garbuio/dpa
Freute sich auf seinen Auftritt: Bariton Nicola Alaimo wartete in den Katakomben der Arena. © Ennevi Foto
Kulturereignis des Sommers: Im Rund der Arena von Verona war auch bei sommerlichen Temperaturen Gänsehaut garantiert. © Ennevi Foto
In Italien war es an diesem Wochenende das Kulturereignis des Sommers. Und dies, obwohl die 100. Ausgabe des Opernfestivals von Verona eigentlich schon 2023 über die Bühne gegangen war. Doch Grund zum Feiern findet sich unter südlicher Sonne bekanntlich immer. Schließlich hat die Unesco gerade erst die italienische Oper in die Liste des immateriellen Weltkulturerbes aufgenommen. Und wo, wenn nicht in Verona hätte man diese bedeutende Auszeichnung sonst feiern sollen? Im demokratischen Rund der Arena, wo vom Abendkleid bis hin zu Shorts und Flip-Flops alles anzutreffen ist.
Auch zahlreiche Politgrößen hatten sich eingefunden
Oper ist hier nicht nur eine Touristenattraktion, sondern tief in der Stadt und der Bevölkerung verwurzelt. Das wird schon klar, als Maestro Riccardo Muti zu Beginn die italienische Nationalhymne erklingen lässt, die von einem Großteil der 20 000 Menschen in der Arena mit stolzgeschwellter Brust mitgeschmettert wird. Und nicht ohne Hintergedanken schickt Muti am Wochenende der Europawahl wohl gleich noch Beethovens „Freude schöner Götterfunken“ hinterher. Denn auch zahlreiche Politgrößen des Landes hatten sich hier eingefunden. So etwa der mit Ovationen begrüßte Staatspräsident Sergio Mattarella und die von vielen deutlich weniger gastfreundlich empfangene Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.
Trotz eines Aufmarschs der Promis und zahlreichen VIP-Empfängen rund um die Arena steht in Verona aber immer die Musik im Mittelpunkt. Wer es wagt, in ein leises Orchesternachspiel hinein zu klatschen oder beim hohen C des Tenors geräuschvoll eine Wasserflasche zu öffnen, macht sich hier keine Freunde. Schließlich ist auf der Bühne ein Staraufgebot sondersgleichen versammelt.
Ebenso wie ein riesiger Chor und ein Orchester, dessen Mitglieder sich aus den großen Opernhäusern des Landes rekrutieren. Zwei Klangkörper, die Muti in einer emotionalen Rede als Abbild der Gesellschaft bezeichnet. Unterschiedliche Stimmen und Instrumente, die zum Bewältigen gemeinsamer Herausforderungen aufeinander hören und zusammenarbeiten müssen.
Dass dies für ihn nicht nur Phrasen sind, demonstriert er im ersten Teil der gut vierstündigen Gala immer wieder. Etwa bei den vor Spannung bebenden Ouvertüren zu Bellinis „Norma“ und Rossinis „Wilhelm Tell“. Vor allem aber bei den patriotischen Chören aus Verdis „Macbeth“ oder „Nabucco“. Es ist absolut magisch, wie es Muti beim berühmten „Va pensiero“ gelingt, seinen mehr als 300 Sängerinnen und Sängern ein zartes Flüstern zu entlocken. Nur um sie danach umso inbrünstiger die Heimat preisen zu lassen. Da ist auch bei sommerlichen 29 Grad Gänsehaut garantiert.
Nach der ersten Pause übergibt Riccardo Muti den Taktstock dann an seinen Kollegen Francesco Ivan Ciampa, der den Rest des Abends die Stars bei ihrem Arien-Reigen begleiten darf. Da präsentiert unter anderem Eleonora Buratto, die in München jüngst als Tosca zu erleben war, mit „Madama Butterfly“ eine weitere Puccini-Paraderolle. Und Jonas Kaufmann haucht noch einmal „E lucevan le stelle“ in den klaren Nachthimmel, während der mit ihm befreundete Ludovic Tézier mit „Nemico della patria“ aus Giordanos „Andrea Chenier“ abräumt.
Die Ehre des „Nessun dorma“ bekommt zwar Vittorio Grigolo zugesprochen, doch die Krone unter den versammelten Tenören gebührt dennoch Juan Diego Flórez. Er darf als einziger gleich zweimal solo in Erscheinung treten und begeistert als „Bohème“-Rodolfo ebenso wie mit dem Gassenhauer „La donna è mobile“ aus „Rigoletto“.
Die im Programmheft angekündigte russische Sopranistin Anna Netrebko ist dagegen nicht auf der Bühne zu sehen. Sie wird sehr souverän von Mariangela Sicilia vertreten, die am Abend darauf gleich noch einmal als Liù bei der Wiederaufnahme von „Turandot“ brilliert. In der spektakulären Produktion von Regisseur Franco Zeffirelli, in der Puccinis Oper noch ganz exotisches Märchen bleiben darf. Doch auch dafür liebt das Publikum Verona. TOBIAS HELL