Effektvolle Kulisse vor den alten Bastionsmauern: Xavier Moreno als Calaf (li.) mit Titelheldin Sally du Randt (Mi.) und den Domsingknaben. © Jan-Pieter Fuhr
Oper auf der Freilichtbühne am Roten Tor, das gab es in Augsburg schon länger nicht mehr. Denn in den vergangenen Jahren war hier meist Musical Trumpf, um das Publikum mit einem populären Rausschmeißer in die Sommerferien zu entlassen. Ohrwürmer hat allerdings auch Giacomo Puccinis „Turandot“ zur Genüge parat. Allen voran den Tenorschlager „Nessun dorma“, den Xavier Moreno hier kraftvoll in die Nacht hinausschmettert. Wobei das triumphale „Vincerò“ zu EM-Zeiten natürlich noch einmal einen ganz besonderen Nachklang hat.
Dankbar ist Puccinis letzte Oper aber vor allem für den Chor, der hier quasi im Dauereinsatz ist und nach anfänglichen Koordinationsproblemen schnell zu großer Form aufläuft. Hausherr André Bücker weiß die weitläufige Bühne in den Massenaufmärschen geschickt zu nutzen und gönnt dabei auch den zentralen Figuren zwischen den großen Chortableaus immer wieder kurze intime Charaktermomente. Zusätzlich fokussiert durch das Lichtdesign von Marco Vitale, der nach Einbruch der Dunkelheit die alten Bastionsmauern und die umgebende Natur effektvoll in Szene zu setzen versteht.
Einiges an Schauwert bieten ebenfalls die Kostüme von Aleksandra Kica, die auf eine historisch akkurate Abbildung des Kaiserhofs von Peking weitgehend verzichtet. Stattdessen beschwört sie mit Anleihen bei Anime-Filmen, einer Prise „Star Trek“ und einem beilschwingenden Glam-Rock-Henker eine asiatisch inspirierte Traumwelt herauf, in die der aus dem Publikum auftretende fremde Prinz unvermittelt hineinstolpert. Trotz des jubelnden Finales, das Franco Alfano einst nach dem Tod Puccinis ergänzte, scheint die Regie dem allzu plötzlichen Happy End der Geschichte dann aber doch nicht hundertprozentig über den Weg zu trauen. Ohne dabei jedoch den konsequenten letzten Schritt zu gehen, der den Opernfans ihr Märchen verderben würde.
Ähnlich freilufttauglich und auf mitreißende Effekte getrimmt präsentiert sich das Dirigat von Domonkos Héja. Und die Augsburger Philharmoniker haben hörbar Freude an der Partitur, deren Modernität der GMD unter den exotisch schwelgenden Melodien immer wieder freilegt. Ein ausbalancierter Zugriff, der es den Sängerinnen und Sängern erlaubt, hin und wieder Klischees zu hinterfragen. Obwohl Xavier Moreno als Calaf über weite Strecken den strahlenden Helden gibt, zeigt er gerade im Zusammenspiel mit Titelheldin Sally du Randt, dass sich sein dunkel grundierter Tenor keineswegs nur fürs Duell um den am längsten gehaltenen Spitzenton eignet. Denn die Sopranistin lässt es am Premierenabend ruhig angehen und legt sich die verzwickte Partie klug zurecht. Die Prinzessin mit dem von Eis umschlossenen Herzen ist bei ihr keine zurückgeschraubte Wagner-Heroine, sondern ruht stets auf einem lyrischen Fundament. Was ihrer Interpretation die sonst oft fehlenden menschlichen Züge verleiht und sie näher an Jihyun Cecilia Lee heranrückt. Sie nimmt als Sklavin Liù mit zart gesponnenen Phrasen für sich ein und ist eine weitere Trumpfkarte dieser ambitionierten Produktion. TOBIAS HELL