Der Europäer

von Redaktion

Robert Menasse feiert 70. Geburtstag

Ein Wiener Kind: Autor Robert Menasse. © Matthias Röder/dpa

Robert Menasse will sich nicht vor den Bücherregalen fotografieren lassen, er stellt sich in seinem Wiener Arbeitszimmer lieber neben ein cartoonartiges Gemälde. Es heißt „Trauriger Boxer“ und erinnert den österreichischen Schriftsteller an ein Trauma seiner Jugend. In seinen zehn Jahren im Internat sei er einige Male verprügelt worden und habe gedacht, wenn er sich nicht wehre, höre der Angreifer auf. Er hatte sich geirrt. „Es blieb ein Gefühl des Gedemütigtseins“, erinnert sich Menasse und zündet sich nicht die erste Zigarette während des Gesprächs an. Die Konsequenz: Er lernte Boxen – „Ich möchte mich wehren können“ – und bewundert die Helden im Ring bis heute. „Die Technik, die Taktik, die Finesse werden von allen unterschätzt.“

Leser und Zuhörer verbinden seit rund 30 Jahren den Autor, der heute seinen 70. Geburtstag feiert, mit einem Kampf politischer Natur. Er möchte allen einhämmern, dass die Grundidee der Europäischen Union nach den Erfahrungen von zwei Weltkriegen ein Geniestreich war: Wirtschaftliche Verflechtungen und gemeinsame Werte sollten helfen, den Nationalismus zu überwinden. Denn der habe zu den „größten Menschheitsverbrechen geführt und Europa verwüstet. Das sollte nie mehr geschehen können“, schreibt Menasse in seinem kürzlich erschienenen Essay „Die Welt von Morgen“.

Wenige Tage nach der Europawahl ist er immer noch bedrückt über das Bild aus vielen Ländern: „Europawahlen werden missbraucht für innenpolitische Agitation.“ Sein Lebensthema hat der gebürtige Wiener in Südamerika gefunden. Nach dem Studium der Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaft lebte er in den Achtzigerjahren unter anderem als Gastdozent in Brasilien. „Das war ein Lebenszufall und ein Lebensglück.“ Der Blick von außen schärfte sein Gefühl für die vielen Gemeinsamkeiten des alten Kontinents. Als er nach dem Erscheinen seines ersten Romans „Sinnliche Gewissheit“ über Emigranten in Brasilien 1989 zurückkehrte, war aus dem Österreicher ein Europäer geworden.

Menasse wird wegen seines Engagements für die EU oft als politischer Kommentator wahrgenommen. Das ärgert ihn, er sei Romancier. Als Schriftsteller müsse er seine Zeit eben durch und durch verstehen. „Der Roman als literarische Gattung ist eine Epoche in Erzählung gefasst.“ Das gilt in seinem Fall vor allem für das europäische Treiben in Brüssel. MATTHIAS RÖDER

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