Charismatischer Grenzgänger: der Schauspieler Donald Sutherland (1935-2024). © dpa (2), Gnoni Press, MM-Archiv (4)
Donald Sutherland, als Sohn eines strengen Offiziers der Armee in der menschenleeren Provinz Kanadas aufgewachsen, studierter Ingenieur, 1,93 Meter großer Lulatsch, der wegen einer Infektion im Kindesalter ein verkürztes Bein hatte – dieser Donald Sutherland hatte erst einmal nichts, was darauf schließen ließ, dass er es einmal zu einem Weltstar des Kinos bringen würde.
Ursprünglich will er Maler werden, aber für den Vater klingt das nach krimineller Karriere oder Schlimmerem. Sutherland flüchtet nach England und besucht dort die Royal Academy of Dramatic Art. Er fällt auf, besteht bei Engagements neben Theaterlegenden wie Rex Harrison. Es folgen erste Fernsehrollen und Auftritte in Horrorfilmen. Sutherland wird gerne als gemeingefährlicher Irrer gebucht. Aussehen und Statur machen ihn in den Augen der Produzenten zum klassischen Schauspieler, der nach Typenbeschreibung besetzt wird.
1967 freilich stiehlt Sutherland im Kriegsfilm „Das dreckige Dutzend“ einige der schönsten Szenen und beweist, dass er mehr kann, als bedrohlich auszusehen. Es folgen fast 200 Rollen, viele in unverwüstlichen Klassikern: „MASH“, „Klute“, „Wenn die Gondeln Trauer tragen“, „1900“, „Die Nadel“, „Die Körperfresser kommen“. Noch im Alter spielt er in Blockbustern wie „Die Tribute von Panem“. Mehr als 60 Jahre ist er im Geschäft, wird gefeiert – aber für den Oscar wird er nicht ein Mal nominiert. Was mehr über die Mechanismen der Oscarverleihung aussagt als über Sutherland.
Sutherland ist ein Grenzgänger, der überzeugend Hauptrollen spielen kann, aber auch in Nebenrollen Eindruck hinterlässt. Kein „Charakterschauspieler“ im klassischen Sinn, aber auch nicht der typische „Leading Man“, mit dessen Namen man einen Film bewirbt. Er betreibt einfach immens effektiv seinen Beruf, dessen Funktion darin besteht, das zu tun, was der Regisseur möchte. Ein uneitle Haltung, die ihn zum begehrten Schauspieler macht, der sich trotz seines Charismas bedingungslos in den Dienst des Films stellt.
Er lässt viel mit sich machen, und Filmemacher, die den Mut haben, ihn an die Grenzen zu bringen, werden mit unsterblichen Momenten belohnt, etwa Bernardo Bertolucci, unter dem Sutherland so eindringlich einen sadistischen Faschisten spielt, dass nicht einmal Sutherland selbst es hinterher erträgt, die Szenen anzusehen. Federico Fellini gibt ihn in „Casanova“ als eitlen Gockel regelrecht der Lächerlichkeit preis.
Schauspielerei sei ein Handwerk, Leidenschaft empfinde er für seine Frau, sagt Sutherland einmal launig. Es stimmt, er geht seine Rollen rational an, vermeidet jede überflüssige Geste oder Mimik, deswegen wirken emotionale Momente bei ihm umso stärker. Als er Anfang der Siebziger groß rauskommt, nutzt er seine Popularität für Antikriegsaktivismus.
Er und Jane Fonda sind das Vorzeigepaar der Vietnamproteste, aber die Liaison hält nicht lange. „Es lief sehr gut mit uns, bis wir zusammengezogen sind“, kommentiert Sutherland gewohnt lakonisch. Die Rollenwahl wird bei ihm ab Mitte der Achtziger etwas beliebig, was daran liegt, dass er seine Steuererklärungen nicht im Griff hat und erst einmal für die Nachzahlungsforderungen arbeiten muss, also nicht wählerisch sein kann. Er sagt gute Angebote ab, weil die Gage für kleinere Auftritte größer ist, und entscheidet sich oft gegen Gewinnbeteiligungen, was ihn ein kleines Vermögen kostet.
Aber auch in mittelmäßigen bis schlechten Filmen bewahrt Sutherland Größe, obwohl er oft wieder tendenziell wahnsinnige Sadisten darstellen muss. Er mault nicht, tut seine Arbeit und schafft es wieder in die Liste der A-Stars. Er spielt nun oft schräge Alte, da ist er pragmatisch. Alt wird er nicht gern. „Altern ist wie ein neuer Beruf, den man erlernt, nur dass man es sich nicht ausgesucht hat.“
Donald Sutherland ist am Donnerstag nach langer Krankheit mit 88 Jahren gestorben. Er war nicht nur körperlich einer der Giganten seiner Zunft. ZORAN GOJIC