Das Brandhorst wird zum Studio 54

von Redaktion

Die weltweit erste Doppelschau von Keith Haring und Andy Warhol

Warhols „Diamond Dust Shoes“. © The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts

Klare Botschaft: „Ignoranz = Angst. Schweigen = Tod. Bekämpft Aids, begehrt auf!“ Keith Haring war engagierter Aktivist, auch als Künstler. © Keith Haring Foundation, New York, NY

Finger weg von Crack! Plattencover von Keith Haring.

Abgefahren: Kuratorin Franziska Linhardt und Brandhorst-Chef Achim Hochdörfer neben Andy Warhols Art Car. © kjk

Exzentriker mit Papagei: Andy Warhol (li.) und Keith Haring. Obwohl die beiden Männer 30 Jahre trennten, waren sie sich sehr ähnlich. © The Keith Haring Foundation, New York, NY (2)

Jetzt stelle man sich vor, es hätte in den Achtzigern schon die digitalen Netzwerke gegeben. Was hätten Andy Warhol (1928–1987) und Keith Haring (1958–1990), diese Meister der Selbstvermarktung, auf TikTok, X, Instagram wohl getrieben? Nun, vermutlich das, was sie auch auf analogem Wege taten: ihre Kunst munter in der Welt verteilen.

Die Exzentriker fühlten sich nicht an bestimmte Oberflächen wie schnöde Leinwände gebunden. Wer die neue Ausstellung im Museum Brandhorst betritt, versteht, was das bedeutet. Warhols Gesicht flimmert in TV-Shows über alte Mattscheiben, von Haring bedruckte Shirts und Ansteck-Buttons und Poster hängen wie in einem Geschäft. Und davor: das wohl lässigste Auto der „Art Car“-Reihe von BMW. Andy Warhol hat es einst bemalt, die Farbe direkt aufs Blech gehauen – in 28 Minuten. Danach seine Unterschrift mit dem bloßen Finger in die nasse Farbe gesetzt. Wer weiß, wie aufwendig nachfolgende Künstlerinnern und Künstler, die von BMW zum Designen eines Art Cars auserwählt wurden, ein Konzept und die Umsetzung ausarbeiteten, der hat so das Gefühl, dass die Unterschrift möglicherweise nicht mit dem Zeigefinger gesetzt wurde. Das ist das Prinzip Andy Warhol: Einerseits ist er selbst Teil der riesigen Kapitalismusmaschinerie – gleichzeitig scheint er ihr immer wieder den Mittelfinger zu zeigen.

Wie ein „trojanisches Pferd“ habe er sich in das Kommerz-System eingeschlichen, formuliert es Brandhorst-Chef Achim Hochdörfer – „um es dann zu unterwandern“. Denn auch wenn Warhol immer wieder vorgeworfen wurde, ein apolitischer Künstler zu sein: Die Schau „Andy Warhol & Keith Haring. Party of Life“ dokumentiert, wie sehr seine Arbeit Missstände aufzeigte, Gesellschaft spiegelte. Keith Haring dagegen war sehr offensichtlich Aktivist. Ist auf die Straße gegangen gegen Aids, Apartheid, häusliche Gewalt. Hier zeigt sich der Unterschied zwischen den Männern, die 30 Jahre trennten und die sich doch so ähnlich waren.

Beide aus Pennsylvania, aus religiösen Familien, homosexuell. Beide Künstler mit enormem Wiedererkennungswert. Und beide irgendwann in New York gestrandet. Es war nur eine Frage der Zeit, dass sie einander fanden. Warhol war fasziniert von Harings Jugend, Haring ein Fan des großen Meisters. Es wird ein enges Verhältnis, der Ältere der Mentor des Jüngeren.

Gemeinsam haben sie indes selten Kunstwerke geschaffen. Aber wenn, dann richtig. Eines der coolsten sieht man jetzt im Brandhorst. Kuratorin Franziska Linhardt hat die Ausstellungsräume klug eingerichtet, erzählt Leben und Kunst der beiden Männer in mehreren Kapiteln. Weil: Leben und Kunst, das machte bei Warhol und Haring keinen Unterschied. Wo beginnt der Star, wo der Mythos? Und wie viel des echten Menschen erkennt man hinter dem Werk? Das fragt man sich in dem Raum, der sich mit Paparazzi und Starkult befasst. Ein Musikvideo von Madonnas „Like a Virgin“ tönt in Dauerschleife. Die Sängerin im knallpinken Kostüm, bemalt von Haring. Es sind Szenen, die am 26. Geburtstag des Künstlers 1984 im legendären Paradise Garage in New York entstanden. Das erste Mal performte Madonna damals ihren Überhit. Als sie ein Jahr später Sean Penn heiratete, schufen die Könige der Exzentrik als Geschenk für die Königin des Pop sechs Collagen, die auf Zeitungsschlagzeilen beruhen. „I’m not ashamed“ etwa, ein Ausspruch von Madonna, nachdem Nacktfotos von ihr aus Teenagerzeiten aufgetaucht waren.

„Party of Life“ heißt die Ausstellung also nicht ohne Grund. Immer wieder hat Keith Haring unter diesem Motto zu wilden Sinnesräuschen in New Yorker Nachtclubs geladen. Seine Idee: Jeden Tag Geburtstag feiern! Doch was, wenn die Party vorbei ist? Mit nur 31 verstarb der Künstler an Aids. 1988 entsteht sein Werk „Apocalypse“, es ist das Jahr, in dem er seine Diagnose erhält. Zu Texten des Autors William S. Burroughs arbeitet er sich künstlerisch ab, an Glaube, Liebe, Hoffnung. Aus Platzgründen hängt hier bisher die erste Hälfte des vielteiligen Gemeinschaftswerks, in der Mitte des Ausstellungszeitraums wird sie durch die zweite Hälfte ersetzt. Wiederkommen also empfohlen. Denn diese Schau wirkt nach. Mit leuchtenden Farben und berauschten Sinnen tanzten Haring und Warhol den Tanz auf dem Vulkan. Setzten dem Kalten Krieg, der Gentrifizierung, der Aids-Krise, dem atomaren Aufrüsten ein visuelles Feuerwerk entgegen. 40 Jahre später steht man da und fragt sich beklommen: Die Themen sind noch immer die gleichen – wer ist der DJ, der immer wieder den apokalyptischen Beat auflegt? KATJA KRAFT

Bis 26. Januar 2025

Di bis So. 10 bis 18, Do. bis 20 Uhr.
Infos: museum-brandhorst.de

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