AUSSTELLUNG

Sittsame Schönheiten

von Redaktion

Das Museum Fünf Kontinente zeigt chinesische Hinterglasmalerei

Dezent angedeutete Erotik gibt es auch bei „Dame mit großem Federfächer“ aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Nordchina). © Nicolai Kästner

Wir in Bayern denken bei Hinterglasmalerei sofort an die in Heimarbeit hergestellten, bunten Heiligenbilder aus dem Oberland. Der einen oder dem anderen sind zierlich kunstvolle Werke in dieser Technik aus dem Rokoko untergekommen. Und natürlich hat man die Versuche der Künstler des Blauen Reiter vor Augen, die insbesondere Heinrich Campendonk zum Höhepunkt geführt hat. Aber China? Porzellan: ja. Glas: doch eher nein.

Vieles stammt von Flohmärkten

Das stimmt und auch wieder nicht – dies erzählt den Besucherinnen und Besuchern die Ausstellung „Betörend schön. Chinesische Hinterglasmalerei aus der Sammlung Mei-Lin“. Tatsächlich kamen Flachglas und Spiegel, diese ZauberEffektmacher des Barock, erst im 17. Jahrhundert an den kaiserlichen Hof. Die Stützpunkte der diversen europäischen Handelsnationen hatten es möglich gemacht. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts schufen noch Hofmaler, aus dem fernen Okzident stammend, Gemälde für den Kaiser. Aber schnell hatten die heimischen Kunsthandwerker heraus, wie die Technik des umgekehrten Auftragens der Farbe funktionierte: Der Vordergrund muss immer zuerst auf die Platte. Das heißt, als Ausführender weiß man nie so genau, wie sich das Bild entwickelt.

Die Sammlung, die Haitang Mayer-Liem und Rupprecht Mayer in den 1990er-Jahren auf Pekinger Flohmärkten und nordchinesischen Städten zusammentrugen, widmet sich im Museum Fünf Kontinente nun den „shinü hua“ oder „meiren hua“, also „Bildern schöner Frauen“ (seit dem vierten Jahrhundert werden sie in China dargestellt). Die gläsernen stammen aus dem 19. Jahrhundert und dem Beginn des 20. Jahrhunderts. Mit ihnen können Projektleiterin und Museumsdirektorin Uta Werlich und der Sammler mehrere Themen so unterhaltsam wie lehrreich beleuchten: das unkolonialistische Zusammenspiel von China und Europa. Die gesellschaftliche Stellung der Frau in den gut 100 Jahren. Die kunsthandwerklich serielle, also auch ökonomisch interessante Umsetzung der Hinterglas- und Spiegelmalerei. Eine reiche Symbolsprache. Und ein ästhetisches Ideal, das lange gleich blieb. Die schöne Frau als (Mal-)Schablone.

Das Gesicht ist weiß, teils mit einem Roséhauch, hat Herzmund („Kirschmund“ ist der mit einem extra roten Fleck), Mondsichelaugen und -augenbrauen. Körper – kannst du vergessen. Ein Fleckchen Hals (geöffneter Kragen!) oder gar nackte Unterarme sind das Nonplusultra an Erotik. Dazu kommen Hände mit sehr langen, spitzen Fingernägeln, und gern werden die tatsächlich Kleinkind-winzigen Füße, natürlich nur in Schühchen, hergezeigt. Wir befinden uns im Wohlstandsmilieu; Mann kann sich so eine Frau und Kurtisane (trugen übrigens öfters Männerkleider) leisten. Dass Kleidung und Accessoires wie Fächer, Taschentuch und Schmuck üppig sind, versteht sich da von selbst. Die Damen sitzen mal züchtig, mal flacken sie mit dem Schoßhund auf einem Kissen. Mütter zeigen stolz ihren Sohn (nie die Tochter). Frauen in Landschaft sind zu entdecken, in Loggien und Studierzimmer mit Büchern und Gedichtfächern.

Die Anspielungen, die auf den Hinterglasbildern gemacht werden, werden durch Mayers Texte erklärt. Da raunt beispielsweise der Lotus sinnbildlich, dass er zwar im Morast wurzelt, die Blüte (= Frau) aber rein ist. Oder der Granatapfel, dass hoffentlich noch ganz viele Kindlein geboren werden.

Ab 1912 darf die Frau entspannter sein

Nachdem das letzte Kaiserreich 1911 gestürzt und 1912 die chinesische Republik gegründet ist, darf Frau entspannter sein. Sie lümmelt schon mal an einem Tresen, raucht und trägt Studentinnenzopf statt kunstvoll getürmter Frisur mit Zierkamm. Selbst eine Hollywood-Diva-Pose kann sie ausprobieren (1940er-Jahre), während die Baumwollpflückerin (um 1952) womöglich schon die drohenden Mao-Klamotten erahnt; seine „Bibel“ hat sie schon. Ergänzt wird der elegant präsentierte (Gestalter: Die Werft) Damenreigen mit Gewändern, Schuhen, Schmuck und Fächern aus den Beständen des Museums. SIMONE DATTENBERGER

Bis 19. Januar 2025

Di.-So. 9.30-17.30 Uhr,
Maximilianstraße 42,
Telefon 089/210 13 61 00;
Katalog: 42 Euro.

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