Leitete die Diskussion: Rachel Salamander. © Thedens
Intensive Textarbeit: Katharina Bach. © Yannick Thedens
Mit gutem Gespür: Sebastian Brandes. © Yannick Thedens
Am Ende des neuen MiniDramas von Hadar Galron fällt dieser Satz „Allein hätte ich das nicht durchstehen können“. Die Frau sagt das zu ihrem Ex-Mann; es ist ihre Art, ihm zu danken. Dafür, dass er aus Thailand nach Israel gekommen ist, um ihr zu berichten, dass die gemeinsame Tochter von den Hamas-Terroristen am 7. Oktober ermordet wurde. Dafür, dass er sich um die Bestattung ihres Kindes gekümmert hat. Kurz: für sein Da-Sein.
Es ist Zufall, gewiss. Aber dieses Zitat fasst obendrein gut zusammen, was die Münchner Kammerspiele gemeinsam mit dem Institut für neue Soziale Plastik mit der Reihe „Schreiben über ,Die Situation‘“ möglich gemacht haben. Nach dem Angriff auf Israel vom vergangenen Oktober und dem anschließenden Krieg in Gaza, um die Geiseln aus den Händen der Hamas zu retten, hat das Theater Autorinnen und Autoren aus dem Land, aber auch jüdische Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus der Diaspora gebeten, mit Literatur dem Terror zu antworten. Das Ganze basiert auf einer Idee von Stella Leder.
Im Abstand von drei Monaten wurden die Texte in halbszenischen Lesungen von Mitgliedern des Ensembles vorgestellt; jeweils im Anschluss diskutierte die Literaturwissenschaftlerin und Publizistin Rachel Salamander mit den Schreibenden. Es entstanden so drei sehr intensive, künstlerisch facettenreiche Abende, die immer auch eine Versicherung des Miteinanders zwischen Bühne und Parkett waren. Denn zusammen ist man eben weniger allein.
Umso schöner also, dass am Dienstag Viola Hasselberg, stellvertretende Intendantin der Kammerspiele, ankündigte, diese „Reihe, die für uns sehr, sehr wichtig ist“, auch in der kommenden Spielzeit fortzusetzen.
Zum Abschluss im voll besetzten Werkraum gab es neben den Szenen von Galron, die 1970 in London geboren wurde und zum Studium nach Tel Aviv zog, auch einen Text von Dana von Suffrin. Die Münchnerin, Jahrgang 1985, hat unlängst ihren zweiten Roman „Noch mal von vorne“ vorgelegt (wir berichteten).
Auffallend ist, wie sich der Fokus der Arbeiten seit dem ersten Abend Mitte Januar verändert hat. Damals waren die Texte von Avishai Milstein, Hadar Galron und Lena Gorelik aus sehr nachvollziehbaren Gründen durchwirkt von Fassungslosigkeit, Trauer und Angst. Unmittelbar und mitunter sehr persönlich reagierten die Autorinnen und ihr Kollege auf den Terror, das große Schweigen, die fehlende Empathie (gerade auch in der Kulturszene) und den weltweit aufbrechenden Antisemitismus.
Nun, neun Monate nach der Attacke, sind die Texte literarischer, pointierter, stärker ausgearbeitet – von ihrer Dringlichkeit haben sie freilich nichts verloren. Daher hat Benno Plassmann gut daran getan, die Vorlagen nicht allzu stark zu inszenieren. Er vertraut sehr zu Recht auf Anja Signitzer, Katharina Bach und Sebastian Brandes: Sie interpretieren die Dialoge empathisch und dennoch zupackend, gestalten die Lesung zwar mit den Mitteln der Schauspielerei – ohne jedoch je zu „theatern“. Ein Glücksfall.
Denn beide Werke sprechen Klartext. Galron bleibt in der Innenperspektive eines traumatisierten Landes, dessen Regierung es kaum gelingt, der tiefen Verunsicherung der Menschen adäquat zu begegnen. Ganz anders von Suffrin: „Der Tag, an dem Frau Grübing-Ypsilantou sich eine Meinung bildete“ ist eine lässige Szenen-Skizze und entlarvt Doppelmoral, Dampfplauderei, Relativierung und Antisemitismus, wie sie in Teilen der nicht-jüdischen deutschen Gesellschaft vorherrschen. An einer Stelle konstatiert die Titelfigur tief überzeugt: „Für die Deutschen ist die jetzige Lage am allerschwersten.“ Wer die Debatten seit dem 7. Oktober hierzulande verfolgt, weiß, dass diese Haltung kaum eine Erfindung der Schriftstellerin ist.
Interessant ist, wie ähnlich beide Arbeiten enden – ohne dass die Autorinnen sich abgestimmt hätten. Bei von Suffrin stürzt das Zoom-Meeting, in dem die Charaktere quatschen, ab: Ein Dialog ist nun tatsächlich unmöglich. Galron lässt die Mutter, die um ihr Kind trauert, die Weltreise ihrer getöteten Tochter nachvollziehen: So wird die Figur zur Jüdin auf Wanderschaft. Ziel: unbekannt. MICHAEL SCHLEICHER