Femme fatale wider Willen: Mélisande (Sabine Devieilhe), hier in einer Szene mit Golaud (Christian Gerhaher). © Wilfried Hoesl
„Ich bin sehr froh, dass ich dieses in Deutschland noch viel zu unbekannte Meisterwerk nun auch dem Münchner Publikum näherbringen kann.“ Sabine Devieilhe freut sich auf die Premiere von Debussys „Pelléas et Mélisande“. © Fabien Monthubert
Bezaubernde Stimme, berauschende Gesangstechnik, bestechendes Musikverständnis: Mit dieser Kombination begeistert die französische Sopranistin Sabine Devieilhe ihr Publikum auf der ganzen Welt, von New York über Paris und Wien bis Mailand. Vor vier Jahren debütierte sie als Königin der Nacht in Mozarts „Zauberflöte“ an der Bayerischen Staatsoper. Am 9. Juli feiert die vielfach preisgekrönte 38-Jährige im Rahmen der Münchner Opernfestspiele Premiere im Prinzregententheater – mit der weiblichen Titelrolle von Claude Debussys „Pelléas et Mélisande“.
Was wäre aus Ihnen geworden, wenn es mit der Gesangskarriere nicht geklappt hätte?
Dann würde ich heute vielleicht sogar etwas Sinnvolleres tun! (Lacht.) Ich glaube, ich wäre dem Beispiel meiner Eltern gefolgt, hätte einen sozialen Beruf ergriffen und mich irgendwo vor Ort gesellschaftspolitisch engagiert.
Was waren Ihre Eltern von Beruf?
Sonderpädagogen. Meine Mutter war spezialisiert auf behinderte Kinder, mein Vater auf jugendliche Straftäter. Beide hatten mit Klassik nichts am Hut. Trotzdem lief bei uns zu Hause immer Musik, beispielsweise von den Beatles – und für mich war das nie bloß Hintergrundgeplänkel: Schon als kleines Mädchen hat mich Musik stets tief berührt.
Und wer hat Sie dann mit klassischer Musik infiziert?
Ich bin in Ifs aufgewachsen, einer 10 000-Seelen-Gemeinde in der Normandie, und dort gibt es direkt neben der Grundschule eine fantastische, bis heute erfolgreiche Einrichtung: die Musikschule, in der fast alle Kinder unserer Nachbarschaft ein Instrument gelernt haben. Ich etwa habe das Cello gewählt, meine drei Schwestern Geige, Klavier und Flöte. Ein wunderbares Beispiel dafür, wie sehr es fruchtet, wenn Kinder lernen, gemeinsam zu musizieren und aufeinander zu hören: Es erweitert den Horizont – und es ist verblüffend, wie viele Leute aus Ifs letztlich die Musik zu ihrem Beruf gemacht haben.
War das damals auch schon Ihr Ziel?
Nein, gar nicht, das Cello war anfangs nur mein Hobby. Ich habe zunächst in Rennes Musikwissenschaften und Musikethnologie studiert und nebenbei in einem Chor gesungen. Dort fiel meine Stimme bald auf, und ich bekam immer mehr Solo-Partien, bis ich schließlich zum Gesangsstudium ans Pariser Konservatorium ging. Weil ich das selbst finanzieren musste, habe ich diverse Gesangsangebote angenommen – und mich riesig darüber gefreut, dass ich offenbar von meiner Leidenschaft leben konnte. Einer dieser Jobs war übrigens die Rolle des Kindes Yniold in einer Aufführung von „Pelléas et Mélisande“.
War das Ihre erste Begegnung mit Debussys einziger Oper?
Nein, das ist schon viel früher passiert, daheim in Ifs. Debussy war quasi meine Jugendliebe – vor allem für seine sinfonische Dichtung „La Mer“ habe ich als junge Cello-Schülerin sehr geschwärmt. Und eines Tages, mit 13 oder 14 Jahren, fand ich in der Bücherei eine CD-Box mit „Pelléas et Mélisande“. Ich habe sie ausgeliehen, mich in mein Zimmer zurückgezogen und aufs Bett gelegt, mir die Aufnahme angehört, dabei das Libretto mitgelesen – und war vom ersten Moment an völlig verzaubert: Es war wie eine Offenbarung für mich. Die reinste Magie.
Hat es Sie nicht gestört, dass es in dieser Oper keine Arien oder Duette gibt?
Im Gegenteil: Ich fand es toll, dass das alles durchkomponiert ist und der musikalische Fluss nicht von Applaus oder Ähnlichem unterbrochen wird – gerade dadurch wird man doch umso tiefer in die Geschichte hineingezogen. Mich erinnert das sehr an Filmmusik, die in meinem Kopf sofort starke Bilder erzeugt.
Mélisande ist ein rätselhaftes, traumatisiertes Wesen, das in einen mächtigen, fürchterlichen Clan einheiratet…
Ja, sie gerät in eine wahrhaft finstere, dysfunktionale Familie – und versucht, dieser Hölle zu entkommen. Für mich steht sie irgendwo zwischen Henrik Ibsens Nora und André Bretons Nadja: eine freiheitsliebende Frau, die die Ketten der Bourgeoisie sprengen und sich nicht von anderen Menschen vorschreiben lassen will, wie sie sich zu verhalten hat – schon gar nicht von Männern.
Zwei Brüder, Pelléas und Golaud, verfallen dieser Frau. Glauben Sie, Mélisande ist sich ihrer Wirkung auf Männer bewusst?
Sie weiß um ihre Wirkung, aber sie kann sie nicht kontrollieren und setzt sie auch nicht absichtlich ein – sie ist sozusagen eine Femme fatale wider Willen. In dieser Oper gibt es keine Schwarz-Weiß-Malerei. Man kann beispielsweise auch nicht behaupten, dass Pelléas der Held und Golaud der Bösewicht wäre: Hier geht es um feinste Abschattierungen, die Debussy raffiniert und subtil musikalisch gezeichnet hat. Und ich bin sehr froh, dass ich dieses in Deutschland noch viel zu unbekannte Meisterwerk nun auch dem Münchner Publikum näherbringen kann!
Premiere
ist am 9. Juli;
Karten unter
Telefon 089/21 85 19 20.