AUSSTELLUNG

Menschenbilder

von Redaktion

Annemarie Faupel stellt ihre Malereien in der Gallery Stephan Stumpf aus

Feier der Vielfalt: Fünf Freundinnen hat Faupel beim Duschen im Nordbad in Öl auf Leinwand festgehalten. © Marcus Schlaf

Köstliche Motive: Auch knallbunte Bonbons und mit Zuckerguss überzogene Kuchen malt Annemarie Faupel. © Marcus Schlaf

Intime Einblicke in eine Lebensphase, die junge Menschen lieber verdrängen: Die Münchner Künstlerin Annemarie Faupel hat ihre Oma Elisabeth in großformatigen Ölmalereien verewigt. © Marcus Schlaf

Das muss man sich auch erst einmal trauen. Die eigene Oma zu bitten, sich auszuziehen. Annemarie Faupel hatte zunächst Hemmungen – doch fasste sich ein Herz und fragte ihre damals 99-jährige Großmutter, ob sie bereit wäre, für sie Modell zu stehen. Nackt. „Erst war sie unsicher und meinte: ,Mei Spatzl, wer will denn des sehen?’“, erzählt die Enkelin. Doch schnell wurde der alten Dame das künstlerische Anliegen der Jüngeren klar. Und sie willigte ein.

Immer wieder ist Annemarie Faupel mit ihren Eltern von München aus zu der Oma aufs Land gefahren. Hat sie in intimen Situationen fotografiert. Im Bad, vor dem Spiegel, neben der Badewanne. Ohne Scheu, hinzuschauen. Im Gegenteil: Voller Euphorie betrachtete die heute 34-Jährige den vom Leben gezeichneten Leib ihrer Ahnin. „So etwas hatte ich noch nie gesehen. Ich wusste nicht, wie solch ein alter Körper aussieht, welche Strukturen sich abzeichnen, was es da alles zu sehen gibt. Das hat mich fasziniert.“

Die Fotos verwandelte sie in Ölmalereien. Es sind wertvolle Einblicke in eine Lebensphase, die wir in jungen Jahren gern verdrängen. „Die Oma ist acht Wochen vor ihrem 100. Geburtstag verstorben. Als ich die Fotos machte, war sie schon sehr gebrechlich“, erzählt Faupel. Behutsam legt sie den Fokus in ihren großformatigen Bildern auf Details. Auf die sehnigen Hände, die von einem langen Arbeitsleben auf dem Bauernhof erzählen; auf das Kinn mit den tiefen Furchen; oder eine Rückenansicht: der nackte Oberkörper bucklig, die weißen Haare mit einer perlenbesetzten Spange fein säuberlich hochgesteckt. „Ich habe versucht, die Persönlichkeit meiner Oma einzufangen. Genau diese Frisur hat sie jeden einzelnen Tag getragen – es war ihr bis zuletzt wichtig, dass die Haare einmal am Tag ordentlich frisiert werden.“ Und was ist aus der Brosche geworden? „Die habe ich nach ihrem Tod bekommen. Sie liegt in meiner Kosmetikschachtel und jedes Mal, wenn ich sie sehe, denke ich an meine Großmutter.“

Beim Entstehungsprozess der Bilder begleitete Faupel ihre Mutter, die Tochter von Oma Elisabeth. Sie war bei den Fotoaufnahmen dabei, besuchte sie regelmäßig im Atelier und gab ehrliches Feedback zu malerischen Stärken und Schwächen. „Sie hat einen sehr guten Blick“, sagt Faupel über ihre Mama, die selbst Kunsttherapeutin für Schmerzpatienten ist – und die Tochter sichtlich geprägt zu haben scheint. Denn ist nicht auch das, was Annemarie Faupel tut, letztlich eine Form von Lebenshilfe für die Betrachter?

Einen Raum weiter in ihrer Soloausstellung, die sie jetzt in der Münchner Gallery Stephan Stumpf zeigt, hängen weitere Akte. Wieder sind es nicht die scheinbar perfekten Körper, wie sie uns in der Werbung und den Sozialen Netzwerken ständig vor Augen gehalten werden. Faupel interessiert das Echte, das Ungefilterte. Für ihre Dusch-Serie hat sie fünf Freundinnen zum Duschen ins Nordbad gebeten. Während die Frauen sich einseiften, schrubbten, die Haare wuschen, machte die Künstlerin Fotos. Aus dieser Vorlage entstanden die großformatigen Malereien, die die Vielfalt feiern.

Das Mädel in der Mitte ist recht füllig, an Bauch und Oberschenkeln Speckröllchen, ein stattlicher Po, kräftige Oberarme. Als sie das fertige Bild sah, fand sie das selbst gar nicht ästhetisch. „Oh, scheußlich!“, kommentierte das rundliche Modell den Blick auf sich selbst. „Dabei war ich so dankbar, dass sie mitgemacht hat. Weil es ja gerade darum geht, jede Form von Körper zu zeigen. Und malerisch war sie viel spannender als etwa die sportliche Frau rechts. Die Dellen, die Rundungen, das war viel interessanter zu malen.“ Und wer sagt schließlich, was schön ist und was nicht?

Faupel hat bei Richter-Schülerin Karin Kneffel studiert

Doch weiß auch Annemarie Faupel, dass sich vermutlich nicht viele Menschen Bilder von alten, gebrechlichen oder nicht dem allgemeinen Schönheitsideal entsprechenden Körpern aufhängen wollen. Denkt sie beim Malen die potenzielle Verwertbarkeit nicht mit? „Halb, halb“, sagt Faupel, die an der Akademie der Bildenden Künste erst in der Klasse Markus Oehlen und später bei Karin Kneffel studiert hat. „Mir ist klar, dass eine Bilderreihe wie die zu meiner Oma wahrscheinlich nicht in absehbarer Zeit verkauft wird. Wobei ich diese Werke sowieso gern als Serie zusammenhalten und öfter gesammelt ausstellen würde – weil mir das Thema wichtig ist.“

So fährt sie zweigleisig. Widmet sich einerseits gesellschaftspolitischen Fragen, die sie beschäftigen – ohne den Blick auf mögliche Käufer. Und fertigt andererseits massenkompatiblere Werke mit köstlichen Motiven wie knallbunten Bonbons, Kuchen, Donuts. Eine bittersüße Mischung, von der man kosten sollte.
KATJA KRAFT

Bis 10. August

Do. bis Sa. 15 bis 19 Uhr
und nach Vereinbarung;
Schleißheimer Straße 44; Kontakt:
new@gallerystephanstumpf.com.

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