INTERVIEW

Tyrann im Haus

von Redaktion

Matthew Wild inszeniert für die Tiroler Festspiele Tschaikowskys Oper „Mazeppa“

Matthew Wild stammt aus Südafrika. © Nathan Kruger

„Diese Oper hat eine sehr starke politische und emotionale Botschaft“, sagt Matthew Wild. Premiere von Tschaikowskys „Mazeppa“ ist an diesem Freitag im Festspielhaus Erl. Es dirigiert Karsten Januschke. © Xiomara Bender

Seinen Einstand bei den Tiroler Festspielen hatte Matthew Wild 2021 mit einer viel beachteten Deutung von Humperdincks „Königskinder“. Nun meldet sich der südafrikanische Regisseur mit „Mazeppa“ in Erl zurück. Einer hierzulande selten gespielten Tschaikowsky-Oper mit brisantem politischen Hintergrund. Premiere ist an diesem Freitag.

Wie fühlt es sich an, nach dem Erfolg der „Königskinder“ wieder in Erl zu sein?

Es ist eine sehr schöne und sehr intensive Probenzeit. Wir haben ein großartiges Ensemble. Mit vielen von ihnen arbeite ich das erste Mal. Aber ganz besonders freue ich mich über Nombulelo Yende, die wie ich aus Südafrika stammt. Als sie das letzte Mal in einer meiner Produktionen gesungen hat, war sie noch Studentin. Sie jetzt in Erl wiederzutreffen, ist einfach wunderbar.

Nach Humperdincks Märchen inszenieren Sie nun eine russische Oper über einen ukrainischen Nationalhelden. Wie gehen Sie im Jahr 2024 damit um?

Ich muss betonen, dass die Oper mit den historischen Fakten nicht viel zu tun hat. Die Handlung ist hochfiktionalisiert. Aber wir schauen uns ja auch Shakespeares oder Verdis „Macbeth“ nicht wegen der historischen Genauigkeit an, sondern wegen der universellen Themen, die darin verhandelt werden. „Mazeppa“ hat mich in dieser Hinsicht ähnlich fasziniert, weil die Oper eine sehr starke politische und emotionale Botschaft hat.

Man sagt oft, dass Geschichte von Siegern geschrieben wird. Gilt dies auch für den Kosaken Mazeppa?

Das Bild, das viele von ihm haben, wurde stark von Byron beeinflusst, der ihn in seiner Dichtung ebenso zu einem romantischen Helden stilisiert hat wie Delacroix in seinem berühmten Gemälde. Gleichzeitig gibt es auch Pushkin, der ihn als Tyrannen deutete. Ich kann also verstehen, wenn Ukrainer oder andere, die sich für die Geschichte interessieren, die Oper aktuell lieber nicht sehen wollen.

Delacroix zeigt, wie der junge Mazeppa, nachdem er eine Frau verführt hat, zur Strafe nackt an ein Pferd gefesselt und verjagt wird. Sind Sie traurig oder doch eher froh, dass Tschaikowsky sich lieber auf einen späteren Lebensabschnitt Mazeppas konzentriert?

Ja, das ist eine Episode, die gerne aufgegriffen wurde. (Lacht.) Unsere Video-Designerin Bibi Abel hat natürlich auch ein paar Referenzen an Delacroix eingebaut. Aber das ist nicht das zentrale Thema unserer Produktion. Also keine Angst, es wird bei uns keine nackten Opernsänger auf Pferden geben.

Was ist das zentrale Thema Ihrer Inszenierung?

Für mich ist es in erster Linie ein Kammerspiel. Die Geschichte einer Familie, die einen gefährlichen Mann in ihr Haus lässt, ohne zu ahnen, welche Konsequenzen dies nach sich ziehen wird. Dreh- und Angelpunkt ist die Tochter Maria, die von Mazeppa geradezu besessen ist und für ihn alles hinter sich lässt.

Ein von Kämpfen gezeichneter Feldherr und eine junge beeinflussbare Frau: Das ist, wie so oft bei Tschaikowsky, nicht das klassische Liebespaar. Welche Konsequenzen hat das?

Mir ging es darum, die Besessenheit zu hinterfragen, die Maria für Mazeppa entwickelt. Die Frage, wie es Demagogen gelingt, Menschen hinter sich zu versammeln, die ihnen blind und bedingungslos folgen.

Das dürfte eine Frage sein, die angesichts der jüngsten Wahlen und aktuellen Wahlkämpfe viele Menschen beschäftigt.

Ich kenne das aus meiner Heimat, wo es viel Korruption und Ungerechtigkeit gab. Die Geschichte eines Anführers, dessen Taten für sein Land und seine Landsleute schwere Konsequenzen haben, war also etwas, das mich bei „Mazeppa“ sofort gepackt hat. Aber das lässt sich momentan leider in vielen Ländern beobachten. Das war auch in unserem multinationalen Ensemble zu spüren. Da gab es mehrere Momente, in denen wir auf den Proben den Tränen nah waren.

Haben Sie eigentlich einen Lieblingsmoment in Tschaikowskys Partitur?

Ganz klar das Finale, wenn Marias Augen endlich geöffnet werden und sie realisiert, was mit ihrer Familie und ihrem Land geschehen ist. Im Libretto gab es ursprünglich einen relativ konventionellen Schlusschor. Aber Tschaikowsky bricht mit diesen Konventionen und setzt statt des Jubels ein zartes Schlaflied, mit dem das Stück nach den brutalen Kriegsschilderungen zuvor leise ausklingt. Das ist für mich eine starke pazifistische Botschaft.

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