Der Mythos überdauert die Zeit

von Redaktion

„Götterdämmerung“ ist der eindringliche Schlusspunkt des Erler „Rings“

Die Welt in Flammen: Christiane Libor als Brünnhildeauf der Bühne in Erl. © Xiomara Bender

Mit auf die Bühne will Brigitte Fassbaender am Ende ihrer Erler „Ring“-Inszenierung nicht. Schließlich handelte es sich offiziell ja „nur“ um eine Wiederaufnahme der seit 2021 erarbeiteten Tetralogie. Aber nachdem die Sängerinnen und Sänger sie in der ersten Reihe entdeckt haben, lenken sie den Applaus schnell auch in Richtung ihrer Regisseurin, die sich dann doch mit dankbarem Lächeln und verdient feiern lässt.

Derartige Ovationen für die szenische Komponente sind gerade bei Wagner-Premieren selten, wo Bilderstürmer und Traditionalisten sich gern in die Haare geraten. Doch Fassbaender gelang tatsächlich das Kunststück, beide Seiten zufrieden zu stimmen. Mit einer auf den ersten Blick so einfachen, aber eben bis ins kleinste Detail durchdachten Erzählweise, die den Mythos in unsere Zeit holt, ohne ihn dafür verbiegen zu müssen.

Einbezogen in den Jubel wird am Ende auch Dirigent Erik Nielsen, der sich nach dem eher betulichen „Rheingold“ kontinuierlich zu steigern vermochte und mit der „Götterdämmerung“ einen eindringlichen Schlusspunkt setzt. Der wehmütige, von allem heroischen Pathos freigekratzte Trauermarsch schlägt da ebenso ein wie die monumentale Chorszene im zweiten Aufzug, in der Robert Pomakow seinen großen Auftritt hat. Er legt den Hagen zunächst als verschlagenen Strippenzieher an, nur um dann plötzlich mit kantigem Bass den zornigen Volksverhetzer herauszukehren. Und mit Thomas de Vries als Alberich gibt es gleich noch einen im Schatten lauernden Widersacher, den die Regie im „Ring“-Finale zu einer weiteren treibenden Kraft aufwertet.

Vincent Wolfsteiner als Siegfried begegnet diesen dunklen Mächten mit beeindruckenden Kraftreserven und einer rührigen Naivität, die so gar nichts vom germanischen Übermenschen spüren lässt. Selbst wenn der sympathische Tanzbär hin und wieder etwas frei mit dem Text umgeht. Christiane Libor teilt sich die Brünnhilde gut ein, singt aber mit zwei Stimmen. Wobei die gleißenden Spitzentöne und das oft gesprochene tiefe Register nicht durchwegs organisch verbunden scheinen. Dies fällt vor allem in der Waltrauten-Szene auf, in der sie mit Zanda Švede eine Walküren-Schwester zur Seite hat, die eine Lehrstunde in Sachen Wagner-Belcanto abliefert.

Ähnlich prägnant besetzt erweist sich das Gibichungenpaar mit Irina Simmes und Daniel Schmutzhard, der erst kurz vor knapp in Erl aufgeschlagen war, um dem gesundheitlich angeschlagenen Kollegen Manuel Walser vom Bühnenrand seinen kräftigen Bariton zu leihen.

„Alles was ist, endet!“ So hatte es die Urmutter Erda bereits zu Beginn dieser kurzweiligen „Ring“-Woche im „Rheingold“ verkündet. Und doch wäre es schade, wenn diese stimmige Erfolgsproduktion des neuen Intendanten Jonas Kaufmann tatsächlich schon wieder in die ewigen Jagdgründe geschickt werden würde. Schließlich ist Wagners Tetralogie seit dem Gründungsjahr 1998 ein Herzstück der Tiroler Festspiele. Im Sinne der künstlerischen Nachhaltigkeit ist das letzte Wort hier hoffentlich noch nicht gesprochen.
TOBIAS HELL

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