Slim Shady stirbt: Das Cover des neues Albums zeigt das Enfant terrible (re.) im Leichensack.
Kontroverser Superstar: Rapper Eminem nimmt den Mund gerne voll. © dpa, Instagram, Universal
Am Anfang standen ein reißerischer Fernsehbeitrag, eine Traueranzeige und ein Horrorvideo. Rapper Eminem hat sich einiges einfallen lassen, um sein zwölftes Album anzukündigen – „The Death of Slim Shady (Coup de Grâce)“ erscheint heute, nach Wochen, in denen Fans sich fragten: Wird ihr Idol zusammen mit seinem Alter Ego Slim Shady auch gleich seine Karriere zu Grabe tragen? Womöglich wird dies seine letzte Platte sein.
Eigentlich ist Eminem dafür bekannt, dass er Alben komplett überraschend herausbringt. Diesmal jedoch macht er ordentlich Tamtam: Ende April veröffentlichte er ein Video, das im Stil einer True-Crime-TV-Sendung vom Tode eines gewissen Slim Shady berichtete. Der blondierte Rapper wird darin erstochen in seinem Blut gezeigt. Auch sein Weggefährte 50 Cent kommt zu Wort: „Er war kein Freund, er war ein Psychopath!“, gibt er den vermeintlichen Ermittlern zu Protokoll. Dann veröffentlichte die „Detroit Free Press“, die größte Tageszeitung in Eminems Heimatstadt, eine Traueranzeige für Slim Shady. „Möge er im Jenseits den Frieden finden, der ihm auf Erden verwehrt blieb“, hieß es da. Und Anfang dieses Monats ließ Eminem seine Fans wissen, dass die Platte am 12. Juli erscheint – mit einem Gruselvideo, das die vermeintliche Geburt des Enfant terrible zeigt – als kleines Teufelchen mit schwarzen Augen, gespaltener Zunge und Hörnern.
Die Kunstfigur Slim Shady geht zurück auf die Anfänge von Eminems Karriere: 1996 begründete der Rapper Proof ein loses Kollektiv, zu dem auch das Nachwuchstalent stieß. Proof regte an, dass jeder ein Alter Ego benutzen solle, um hinter dieser Maske unbeschwert seinen eigenen Stil zu kreieren. Eminem erschuf die Figur Slim Shady. Produzent Dr. Dre wurde auf ihn aufmerksam, nahm ihn unter Vertrag und produzierte mit ihm das Album „The Slim Shady LP“. Kurze Zeit später war Eminem ein weltweiter Star. Und das Pseudonym wurde ihm eine Art Mr Hyde, in dessen Gestalt Marshall Mathers (so Eminems Geburtsname) sich austoben konnte – rotzfrech und mitunter hart an der Geschmacksgrenze.
Doch damit, so scheint es, ist jetzt Schluss – Slim Shady bekommt den Gnadenstoß. Denn genau das bedeutet „Coup de Grâce“ auf Französisch. Ob auch der Künstler Eminem eine Erlösung von seinen Qualen nötig hat, sei dahingestellt. Er ist immer noch populär und seine alten Fans halten ihm treu die Stange.
Eminem kritisiert die „Pfadfinderinnen“- Mentalität der heutigen Medienwelt
Auf der anderen Seite hat er in den vergangenen zehn Jahren kein rundum gutes Album mehr herausgebracht, und auch sein maschinengewehrartiger Rap-Stil ist nicht mehr wirklich im Einklang mit den Hörgewohnheiten der Generation Z – ganz abgesehen von seinen kontroversen verbalen Rundumschlägen und zum Teil homophoben und frauenfeindlichen Inszenierungen.
Trotzdem: Humor sowie unzweifelhaftes kreatives Talent beweist Eminem mit den beiden Songs, die er „The Death of Slim Shady“ vorausgeschickt hat (die restliche Musik des 19 Stücke umfassenden Albums sind bis zum heutigen Erscheinungstag geheim). In „Houdini“ lässt der Mann, der mit seinen 51 Jahren und seinem getrimmten Vollbart aussieht wie Ukraine-Präsident Wolodymyr Selenskyj, Slim Shady zu einem Neunziger-Jahre-Beat und Steve Millers „Abracadabra“ aus der Vergangenheit zurückkehren. Im Text des Songs kritisiert Eminem die „Pfadfinderinnen“-Mentalität der heutigen Medienwelt, die eine einzige Zensurbehörde sei. Die Comic-Optiken im Video erinnern an den Film zu seinem alten Hit „Without Me“. Am Ende versucht der Rapper sein Alter Ego mit einem Zaubertrick à la Houdini verschwinden zu lassen – worauf Slim Shady und Eminem zu einer Person verschmelzen. Auf Instagram postete der Künstler dazu den Kommentar: „Und für meinen letzten Trick werde ich meine Karriere verschwinden lassen!“
Weitaus düsterer geht es in „Tobey“ zu. Hier lässt Eminem seine Verdienste Revue passieren und stellt sich als unverstandenes Genie dar. Der Titel ist von „Spiderman“-Darsteller Tobey Maguire inspiriert.
Bescheidenheit ist eine Zier, auf die der Rapper schon immer verzichten konnte
Der sei von einer Spinne gebissen worden, er selbst von einer Ziege („Goat“), rappt Eminem. Wobei die Abkürzung „GOAT“ im Englischen für „Greatest Artist of all Time“ steht – „größter Künstler aller Zeiten“. Bescheidenheit ist eine Zier, auf die der Rapper schon immer gut verzichten konnte. Am Ende des Videos freilich taucht von hinten überraschend Slim Shady mit einer Hockey-Maske auf – und metzelt Eminem stilecht mit einer Kettensäge nieder.
Die Indizien sind also ziemlich eindeutig. Kommen heute mit „The Death of Slim Shady (Coup de Grâce)“ wirklich die letzten Worte eines begnadeten Großmauls auf den Markt oder ist das Album nur der Zielpunkt einer ausgefuchsten Kampagne? Sicher ist jedenfalls, dass in der Musikwelt ohne Eminem um einiges weniger los wäre.
JOHANNES LÖHR
Eminem:
„The Death of Slim Shady (Coup de Grâce)“ (Universal).