Gendern mit Glamour

von Redaktion

Die schrille Operetten-Uraufführung „Oh! Oh! Amelio“ am Gärtnerplatz

Songs mit Ohrwurm-Qualität, eine große Portion Kalauer und ein anarchisches Verwirrspiel liefert „Oh! Oh! Amelio“ auf der Studiobühne des Gärtnerplatztheaters. © ANNA SCHNAUSS

Mit der Intendanz von Joseph E. Köpplinger erstrahlte ein herrlich bunt schillernder Regenbogen über dem Münchner Gärtnerplatztheater, der mit nahezu jeder weiteren Neuinszenierung heller glitzert und leuchtet. Die laut Programmheft „nagelneue Operette“ mit dem Titel „Oh! Oh! Amelio!“ von Thomas Pigor erweitert den Spielplan nun um die nächste Produktion, die sich Operettenfans und Freunde der queeren Community keinesfalls entgehen lassen sollten. Aber auch jedem anderen sei der kleine, spaßige Abend dringend ans Herz gelegt.

Travestiekünstler Amelio von Tschüssikowski (Christian Schleinzer), geboren unter dem eher profan anmutenden Nachnamen Täschner mit fränkisch auszusprechendem „hadden D“, tanzt als Frau in einem Ballettcorps und lebt ansonsten glücklich mit seiner Mutter (Thomas Pigor) und seinem Lebensgefährten Etienne Milledieu (Armin Kahl) zusammen. Als Etienne beruflich in die USA reisen muss, bittet die gemeinsame Freundin Marika (Julia Sturzlbaum) den Strohwitwer um Hilfe: Die wegen ihres Champagnerkonsums chronisch in finanziellen Nöten steckende Frau will Amelio als Alibi-Mann verpflichten, um ans Familienerbe heranzukommen. Das wird ihr nämlich nur ausgezahlt, wenn sie endlich heiratet.

Parallel dazu versucht der alternde Filmproduzent Prinz (Alexander Franzen) bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit, Amelio beziehungsweise dessen weiblicher Bühnenfigur, der Tänzerin Amelia von Tschüssikowski, an die Wäsche zu gehen. Dazwischen tummeln sich Amelios fränkelnde Mutti, die unbedingt zum Film will, eine energische Schauspielagentin (Frances Lucey), eine osteuropäische Tante Marikas (wunderbar: Dagmar Hellberg), die dauerbetrunkene Mitbewohnerin Charlotte (Laura Schneiderhan) und ein orthodoxer Priester (Peter Neustifter) auf der engen Studiobühne des Gärtnerplatztheaters. Alles immer schön schrill nach dem Motto des Abends: „Es geht um Unterhaltung und sonst nichts.“

Ziemlich schnell gerät die eigentlich überschaubare Geschichte so außer Kontrolle, wie es sich für eine richtig gute Boulevardkomödie gehört: Das Tempo steigert sich. Die Türen klappen unaufhörlich. Beinahe jede Minute tauchen neue Dramen in Form überraschender Gäste in Amelios oder Marikas Wohnung auf. Die Kalauerdichte ist immens. Genau so, wie es Frau Täschner eingangs angekündigt hatte: „Hier wird mit Klischees gearbeitet.“ Recht so. Dient ja stets der Orientierungshilfe bei dem turbulenten Treiben auf der schlicht gehaltenen Bühne.

Die haben Karl Fehringer und Judith Leikauf, wie auch die Kostüme, mit schmalem Etat, aber sehr viel Fantasie und Witz gestaltet. Eine dünne Decke zaubert aus der Kommode ein Ehebett. Ein Stoffvorhang verwandelt die Wohnung in eine marzowinisch-orthodoxe Kirche. Und für die #MeToo-Nummer des Filmproduzenten, die Alexander Franzen souverän in Bademantel und Socken abliefert, wird er vom restlichen Ensemble mit Krokodil-Handpuppen und in grünen Regenmänteln umtanzt.

Das zunehmend anarchische Verwirrspiel, auch mit den Geschlechterrollen der Figuren, wird im Verlaufe des von Gabi Rothmüller charmant inszenierten Abends immer schneller. Die Wechsel finden stets hinter einem riesigen, die Bühne dominierenden A aus Glühbirnen statt. Links davon ist das von Andreas Partilla geleitete Orchester platziert, das viele Songs mit Ohrwurm-Potenzial liefern darf. Insgesamt ist „Oh! Oh! Amelio!“ eine erfrischend schillernde, schrullige Mischung aus klassisch schmelzenden Operettenklängen im Stile von Paul Lincke, kombiniert mit breitem Big-Band-Sound und Anleihen bei Kurt Weill. Pigor, der neben Stücken auch Lieder für Künstler wie Jan Böhmermann, Max Raabe oder Desirée Nick schreibt, schlägt beim Schlussapplaus die riesige Begeisterung des Publikums entgegen. Nur die Gesellschaftskritik hätte vielleicht etwas schärfer ausfallen dürfen.
ULRIKE FRICK

Nächste Vorstellungen

am 13., 15., 16. und 19. Juli;
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