Mit seinem Quartett gastierte Miguel Zenón in München.
Nicht weniger als die „Música de las Américas“ hat sich Miguel Zenón vorgenommen – die folkloristischen Stile der Karibik, Mittel- und Südamerikas als Basis für relevanten Gegenwartsjazz zu nutzen. Die Stücke des so betitelten Albums bildeten, neben einigen brandneuen Kompositionen, den Kern des Repertoires, mit dem der 47-jährige Altsaxofonist aus Puerto Rico und sein Quartett ihr Konzert in der Münchner Unterfahrt bestritten.
Die Song- und Tanzformen Lateinamerikas mit ihrer Rhythmik, etwa kubanischen Mambo und Son, Merengue aus der Dominikanischen Republik oder Plena von seiner Heimatinsel, überformt Zenón mit komplexen Harmonien, die wiederum Ausgangspunkt sind für Akkordslaloms virtuoser Solisten. Sozusagen eine postmoderne intellektuelle Fingerübung auf Basis jahrhundertealter Wurzeln. Sie ergibt eine brodelnde Stilmixtur, die trotz Komplexität und hohen Abstraktionsgrads stets etwas mitreißend Tänzerisches behält.
Nach fast 20 Jahren in dieser Besetzung verstehen sich Zenón und sein Quartett mit dem venezolanischen Pianisten Luis Perdomo, Bassist Hans Glawischnig (Vater Österreicher, Mutter Amerikanerin) und dem puerto-ricanischen Schlagzeuger Henry Cole bis in Nuancen, können gleichzeitig in unterschiedlichen Taktarten spielen und sich doch immer wieder zielsicher an einem Punkt treffen. Zenón ist mit seinem schlanken Ton, der Wärme und Schärfe ausbalanciert, nicht nur als Saxofonist eine Klasse für sich, sondern auch einer der ganz wenigen Jazzer, die bisher das in den USA „Genius Grant“ genannte, mit 625 000 Dollar dotierte Stipendium der MacArthur Stiftung erhielten. An diesem faszinierenden Abend konnte man eine Ahnung bekommen, warum.
REINHOLD UNGER