Bilder, die man nicht vergisst

von Redaktion

Trauer um den deutschen Magnum-Fotografen Thomas Hoepker, der mit 88 Jahren verstorben ist

Retrospektive: So warb das Münchner Stadtmuseum für seine Hoepker-Schau. © Archiv

Verschmitzt: Thomas Hoepker vor seinem besonderen Porträt von Muhammad Ali bei einer Ausstellungseröffnung 2015 in Berlin. © G. Chlebarov/VISTAPRESS

Ikonisch: Thomas Hoepker neben seiner Momentaufnahme während der Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York. © imago stock&people

Hinten die brennenden Türme, vorne eine Gruppe junger Leute, die einen sonnigen Herbsttag am East River genießen. Es ist der 11. September 2001 – der Fluss wie ein Schutzwall zwischen Drama und Unbeschwertheit. Doch jeder, der diese ikonische Fotografie von Thomas Hoepker betrachtet, weiß, dass auch die fünf unbekümmerten Picknicker bald von der Tragödie eingeholt werden. Die Welt ist seit dem Angriff auf das New Yorker World Trade Center eine andere. Wie beiläufig fängt Hoepker den Moment ein – und hat aus dem entfernten Brooklyn auf diese Weise ein stärkeres Bild des Terroranschlags geschaffen als viele seiner Kollegen aus unmittelbarer Nähe in Manhattan. Dieses Foto vergisst man nicht.

Dabei hat Thomas Hoepker selbst zuletzt so vieles vergessen. Der große deutsche Magnum-Fotograf war vor einigen Jahren an Alzheimer erkrankt. Nahuel Lopez hat 2022 einen außergewöhnlichen Film darüber gedreht. Für „Dear Memories“ begleitete er Hoepker drei Monate kreuz und quer durch dessen Wahlheimat USA. Denn statt angesichts der Diagnose zu verzweifeln, wollte der lieber noch einmal das tun, was er sein Leben lang getan hatte: die Welt mit der Kamera erkunden. Nun ist seine Reise zu Ende. Wie die Agentur Magnum Photos gestern mitteilte, starb Thomas Hoepker im Alter von 88 Jahren – „friedlich“.

Es bleibt sein eindrucksvolles Werk. In München ist man reich beschenkt damit. Denn 2005 stiftete der Künstler mehrere tausend Fotografien an das Fotomuseum des Münchner Stadtmuseums. Dessen einstiger langjähriger Leiter Ulrich Pohlmann erinnerte sich im Gespräch mit unserer Zeitung noch genau an den Moment, als er Hoepkers 9/11-Bild zum ersten Mal sah. „Es hat mich schlagartig überfallen. Diese Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen.“ Dabei hatte Hoepker selbst das Foto mit dem Titel „Blick von Williamsburg, Brooklyn, auf Manhattan“ ursprünglich unter den B-Pictures einsortiert. „Wir saßen in Long Island an zwei großen Monitoren und sind sämtliche Fotos für die bei uns in München geplante Retrospektive durchgegangen“, erzählte Pohlmann. Da stießen sie auf dieses kleine Meisterwerk. Mit therapeutischer Wirkung. Pohlmann: „Alexander Kluge hat das in Bezug auf die Anschläge vom 11. September analysiert: Dadurch, dass man die Bilder immer wieder sieht, überwindet man den Schockmoment und macht sich mit der Realität vertraut. Man begreift, dass etwas real ist.“

Viele US-Amerikaner indes sahen es nicht gern. Den fünf im Angesicht der Katastrophe so Tiefenentspannten wurde in öffentlichen Diskussionen unamerikanisches Verhalten vorgeworfen. Mit der eigenen Arbeit Debatten auslösen, das gefiel dem Fotografen, dem man gar vorwarf, er ästhetisiere das Grauen. „Ich bin kein Künstler, sondern Bilderfabrikant“, lautete sein Credo.

1936 war Hoepker in München geboren worden. Zum 14. Geburtstag schenkte ihm sein Opa eine Kamera – der Beginn einer Leidenschaft. Die noch während seines Studiums der Kunst, Geschichte und Archäologie zur Berufung wurde. Die „Münchner Illustrierte“ stellte ihn ein, 1964 wechselte er zum „Stern“. Gleichzeitig trat Hoepker der legendären Foto-Agentur Magnum bei, war von 2003 bis 2006 sogar ihr Präsident.

In den Siebzigern zog Hoepker nach New York. Wie viel er in den USA erlebt hat, auch davon erzählt besagter Film „Dear Memories“. Darin immer an Hoepkers Seite: seine Frau Christine. „Wie die beiden beiläufig dem Unvermeidlichen trotzen, bricht einem das Herz“, schrieb unser Kinokritiker. Beiläufigkeit, es war Hoepkers Geheimnis im Privaten wie in seiner Kunst. So entstanden eindringliche Arbeiten. Oder wie er selbst es mal gesagt hat: „Entweder hasst man es oder man liebt es, aber lauwarm ist immer uninteressant.“
KATJA KRAFT

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