Jonas Kaufmann im Nationaltheater. © Wilfried Hösl
Ovationen im fast ausverkauften Nationaltheater: Tenor Jonas Kaufmann beweist mit seinem Liederabend, dass er trotz Verzichts auf Gassenhauer ein Publikum begeistern und auch in kleinen Werken große Emotionen vermitteln kann. Zu Beginn gelingt ihm mit Helmut Deutsch am Klavier eine solide Aufführung von Robert Schumanns Petitessen-Parade „Dichterliebe“, bei der Kaufmann ganz im Sinne des Komponisten das meiste mehr an- als ausdeutet. Bemerkenswert, dass seine nach wie vor betörend schöne, wenngleich bisweilen etwas mattierte Stimme just an der passendsten Stelle belegt klingt – in der solo vorgetragenen Liedzeile „Ich hab’ im Traum geweinet“.
Nach der Pause wird es noch interessanter, wenn Kaufmann und Deutsch eine Lanze für Franz Liszt brechen, dessen Liedschaffen weithin unterschätzt wird. Da kann man seine Vertonung von Heines „Im Rhein“ mit der von Schumann vergleichen – und Aufregendes entdecken, etwa Liszts harmonisch kühnes Kleinod „Die stille Wasserrose“ oder seine beiden völlig unterschiedlichen Versionen von „Freudvoll und leidvoll“.
Insbesondere in den kniffligen drei Petrarca-Sonetten merkt man Kaufmann die Anstrengung an, zum Beispiel, wenn er leise Passagen stützen, große Intervallsprünge bewältigen oder sich in höhere Lagen hinaufschwingen muss. Andererseits kann er bei den klug abschattierten Liszt-Werken viele Facetten seiner Gesangskunst zeigen. So klingt seine Stimme mal hart (in „Vergiftet sind meine Lieder“), mal zart (etwa in „Es muss ein Wunderbares sein“, der letzten der vier Liszt-Zugaben).
Schade nur, dass manche Fans den Spannungsbogen der Liedgruppen und -zyklen durch Zwischenapplaus zerstören und dabei sogar mehrmals rücksichtslos in die Klavier-Nachspiele hineingrätschen – eine Unverschämtheit angesichts der atemberaubenden Feinsinnigkeit, mit der Helmut Deutsch seinen Part gestaltet: Nicht zuletzt dank dieses phänomenalen Piano-Poeten wird der Abend zum Ereignis.
MARCO SCHMIDT