Da schaut her!

von Redaktion

Matthew Wild gelingt mit „Mazeppa“ in Erl ein Abend, der keine Wünsche offen lässt

Starke Ensembleleistung: Vom Chor bis zu jedem einzelnen Solisten perfekt besetzt ist „Mazeppa“ bei den Tiroler Festspielen. © Xiomara Bender

Eine Oper über einen ukrainischen Nationalhelden, vertont von einem russischen Komponisten. Das könnte angesichts des aktuellen immer noch tobenden Krieges eine Steilvorlage sein. Doch so einfach macht es sich Regisseur Matthew Wild bei „Mazeppa“ nicht. In seiner Inszenierung für die Tiroler Festspiele Erl wird Tschaikowskys düsterste Oper vielmehr zu einer allgemeingültigen Anklage von Machtmissbrauch und Unterdrückung. Losgelöst von der im Libretto ohnehin ordentlich zurechtgebogenen Historie.

Dieser Abend ist ein Triumph für den scheidenden Intendanten Loeb

Der von der einen Seite als Freiheitskämpfer, von der anderen als Zaren-Verräter gedeutete Titelheld ist hier ein einfacher Krimineller, der in unruhigen Zeiten zum Politiker aufsteigt. Ein selbst ernannter Mann aus dem Volk, der die Menschen aufwiegelt und deren patriotische Gefühle für seinen eigenen Vorteil nutzt. Dass zwischen dem heroischen Anspruch und der von Willkür und Brutalität bestimmten Wirklichkeit eine große Lücke klafft, daran lassen Wild und sein Ausstatter Herbert Murauer wenig Zweifel.

Bei ihnen spielt die Geschichte auf zwei Ebenen. Der von Olga Yanum bestens vorbereitete Chor darf sich da in den markerschütternden Volksszenen meist in einem von kahlen, abweisenden Mauern eingefassten Innenhof tummeln. Doch tun sich in der Rückwand immer wieder kleine Räume auf, in denen sich das Private abspielt. Einblicke ins Leben der jungen Maria, die seit ihrer Kindheit vom charismatischen Anführer fasziniert ist und ihm zuliebe ihre Eltern verlässt. Jugendfreund Andrej kann dies ebenso wenig verhindern wie Vater Kotschubej, der nach dem Verlust seiner Tochter gegen Mazeppa zu intrigieren beginnt. Mit fatalen Konsequenzen für sich, seine Familie und sein Land.

Wild findet hier immer wieder einprägsame Bilder, in denen er das Leid des Volkes ähnlich schonungslos einfängt wie das Schicksal seiner weiblichen Protagonistin. Dies beginnt bereits in der zur Ouvertüre inszenierten stummen Rückblende und gipfelt im instrumentalen Schlachtengemälde des dritten Aufzugs. Wenn zu den siegreich jubelnden Klängen die Verlierer des Bürgerkrieges als gebrochene Flüchtlinge über die Bühne schlurfen, jedes Pathos im Keim erstickt wird und Maria allzu spät die Zusammenhänge durchschaut.

Dieses berührende Finale ist nicht zuletzt Dirigent Karsten Januschke zu verdanken, der mit der Regie stets an einem Strang zieht. Weil auch er die Partitur immer wieder scharfkantig zu sezieren versteht und damit für ein Gegengewicht zu den um Maria kreisenden emotionalen Momenten sorgt. So, wie die junge Frau blind dem Idol folgt, liefert sich auch Nombulelo Yende ihrer Rolle mit bedingungsloser Hingabe aus. Wobei sie nicht nur in den dramatischen Auseinandersetzungen besteht, sondern ihren warmen Sopran wenn nötig ebenso zart zurückzunehmen versteht. Darauf lässt sich Mikhail Pirogov in den gemeinsamen Szenen zum Glück dankbar ein, dem es trotz strahlender Spitzentöne gelingt, auch Andrej als gebrochenen und vom Krieg gezeichneten Mann zu zeigen.

Und weil man dazu in den tieferen Stimmlagen noch zwei weitere Trumpfkarten ausspielen kann, bleiben bei diesem intensiven Abend nun wirklich gar keine Wünsche mehr offen. Was Alexander Roslavets mit sonorem, ebenmäßig geführtem Bass als Kotschubej abfeiert, ist nichts weniger als sensationell. Dies ist allerdings nötig, um gegen Petr Sokolov zu bestehen, der den Anti-Helden Mazeppa kämpferisch, aber dennoch nicht frei von Zweifeln anlegt und das Publikum so in eine moralische Zwickmühle treibt.

Ein Triumph für alle Beteiligten und für den scheidenden Intendanten Bernd Loebe, der den Tiroler Festspielen in seiner kurzen Amtszeit vor allem mit Ausgrabungen wie dieser überregionale Beachtung sicherte. Die Messlatte für Nachfolger Jonas Kaufmann, der 2025 übernimmt, liegt hoch.
TOBIAS HELL

Weitere Vorstellungen

am 19. und 21. Juli; Karten unter 0043/ 53 738 10 00 20.

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