Im Liebesrausch

von Redaktion

Vokale Wonnen bei Gounods „Roméo et Juliette“ auf Gut Immling

Ein ideal aufeinander abgestimmtes Paar: Diana Alexe als Juliette und Leonardo Sánchez als Roméo. © Verena von Kerssenbrock

Bei den Stammbesuchern von Gut Immling hat sich das Chiemgauer Opernfestival längst seinen Ruf als bayerisches Verona erarbeitet. Was könnte da näher liegen, als hier nun auch endlich die Geschichte jenes berühmten Paares zu erzählen, das laut Shakespeare ebendort sein tragisches Ende fand? Gounods „Roméo et Juliette“ ist nicht nur ein zugkräftiger Titel, sondern gleichzeitig ein überaus interessanter Farbtupfer im Immlinger Kanon. Dass man sich hier mit Verdi und Puccini bestens auskennt, ist kein Geheimnis. Wirklich spannend wird es in Immling aber immer vor allem dann, wenn man sich mit Experimenten wie diesem aus der eigenen Komfortzone herauswagt.

Schon der eindringlich gestaltete Prolog beweist dabei, dass Dirigentin Cornelia von Kerssenbrock auch ein gutes Gespür fürs französische Repertoire hat. Sanft, aber bestimmt führt sie ihr Ensemble durch den Abend. Kraftvoll zupackend in den großen Chorszenen, die jedoch vor allem für den nötigen Kontrast zu den filigran aufgefächerten Liebesduetten des Titelpaares sorgen.

Diana Alexe, die hier zuletzt als „Traviata“ begeisterte, wird vom Publikum schon nach ihrer virtuosen Auftrittsarie wieder unmittelbar ins Herz geschlossen. Für zusätzliches Schmunzeln sorgt da übrigens noch die in den Übertiteln eingeblendete Aufforderung „Obacht! Tanzen Sie jetzt mit Julia den Macarena!“. Ein amüsanter Mitmach-Moment, der vor allem von der jüngeren Fraktion im hinteren Teil des Saals wahrgenommen wird, während man in den vorderen Reihen lieber andächtig Diana Alexes perlenden Koloraturen lauscht.

Für vokale Wonnen sorgt aber auch ihr Roméo, der vom Mexikaner Leonardo Sánchez ebenso geschmeidig wie höhensicher gesungen wird. Das „Ah! Lève-toi soleil!“ unter Juliettes Balkon strotzt nur so vor jugendlichem Überschwang, ehe er im ersten Duett seine sensibleren Züge durchscheinen lässt. Zusammen bilden die beiden ein ideal aufeinander abgestimmtes Paar, dessen Temperamente sich bestens ergänzen. Überhaupt ist diese dritte Premiere die stimmlich homogenste Produktion des aktuellen Immlinger Sommers und kommt bis in die Nebenrollen exzellent besetzt daher. Da lässt unter anderem Jan Zadlo als Mercutio mit der Ballade von König Mab aufhorchen. Und Patricia Osei-Kofi weiß sich als Stéphano mit ihrem klaren, schlank geführten Mezzo bestens in Szene zu setzen. Nicht zu vergessen Giorgi Chelidze, dessen nachtschwarzer Bass den Szenen des Paters Lorenzo Gewicht verleiht.

Anders als Regisseur Michael Sturm, der alles versucht, um die vertraute Geschichte nicht zu sehr ins Süßliche oder gar Pathetische abdriften zu lassen. Die spartanische Bühne von Sebastian Ellrich wird von den raumhohen Initialen des Titelpaares dominiert, vor denen eine weiß gewandete Gesellschaft einen rauschenden Ball feiert. Garniert mit ein wenig Las-Vegas-Feeling, wenn sich die Liebenden von einem hüftschwingenden Elvis-Double trauen lassen, oder die Hosenrolle des Pagen zum Showgirl mit Federkopfputz mutiert.

Juliette, die in einer deutlich stilvolleren Variante von Björks berüchtigtem Schwanenkleid erscheint, darf sich da erst einmal eine Linie Koks hochziehen. Und so wird nicht immer klar, ob das, was wir danach sehen, alles Realität ist, oder sich womöglich nur im Rausch abspielt. Wenn etwa die Nebelmaschine nach der Pause Überstunden macht, oder Juliettes erzwungene Hochzeit mit Paris zum Tarantino-verdächtigen Massaker wird, ehe der Chor zum nächsten Einsatz wieder aufersteht. Dies sorgt ebenso für Raunen im Saal, wie der eigentlich recht harmlose Liebesakt. Beim Verbeugen des Regieteams kühlt der bis dahin geradezu überschwängliche Applaus daher zwar merklich ab. Doch wenn die musikalische Seite so stimmt wie hier, darf es szenisch ruhig mal etwas ambitionierter werden.
TOBIAS HELL

Weitere Vorstellungen

19. und 28. Juli, 9. und 17. August;
Karten unter 08055/ 90 34 0

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