Mutter ist die Beste

von Redaktion

Stargeigerin glänzte am Samstag bei „Klassik am Odeonsplatz“

Mit Eleganz: Lahav Shani, designierter Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. © MICHAELA STACHE

Ein gewaltiger Sturm, nicht nur musikalisch: Während es am Samstag erst bei der Zugabe zu regnen begann, musste das Konzert am Freitag abgebrochen werden. © Marcus Schlaf

Ohne Gespür: Sir Simon Rattle, hier mit Anja Kampe und Michael Volle, dirigierte das „Walküre“-Finale. © Michael Tinnefeld/Api

Brachte ihre Geige zum Grooven: Anne-Sophie Mutter, begleitet von den Münchner Philharmonikern unter Lahav Shani. © M. Balk

Zweimal ausverkauftes Konzert mit jeweils 8000 Leuten im Publikum, zweimal Weltklasse auf dem Podium – und trotzdem hätten die beiden Abende von „Klassik am Odeonsplatz“ kaum unterschiedlicher sein können. Schwere Brocken und Gewitterstürme gab es am Freitag, leichte Kost und Wetterglück am Samstag. Pech hatten die BR-Symphoniker, die ihren Auftritt in der Pause wegen eines Unwetters abbrechen mussten – jammerschade um Brahms’ zweite Symphonie, die sie noch im Gepäck gehabt hätten. In weiser Voraussicht hatten sie ihre Notenblätter mit Wäscheklammern an den Notenständern befestigt, aber auch das half letztlich nichts mehr.

Dabei hatten sie, lustvoll beflügelt von ihrem Chefdirigenten Sir Simon Rattle, wunderbar leidenschaftlich losgelegt mit Wagners „Walkürenritt“, hatten so feurig wie präzise einen gewaltigen musikalischen Sturm entfacht. Der wurde allerdings bald von Sturmböen begleitet, die dafür sorgten, dass die Pflanzenkübel auf der Treppe der Feldherrnhalle reihenweise umstürzten und die Haare des Maestros flatterten wie in einem Windkanal. Sir Simon trägt zwar die Sonne im Herzen, konnte jedoch die Gewitterfront nicht aufhalten, und auch sein sonst so untrügliches Gespür fürs Publikum hatte ihn hier offenbar im Stich gelassen.

Was mag ihn wohl geritten haben, nach dem „Walkürenritt“ das Finale der Wagner-Oper „Die Walküre“ aufzuführen, aus dem Zusammenhang gerissen, ohne einführende Erläuterung? Klar, Kenner können konstatieren, dass Michael Volle schlichtweg die Idealbesetzung für Wotan ist und dass auch Anja Kampe als Brünnhilde, abgesehen von ein paar spitzen Spitzentönen, kaum Wünsche offenlässt.

Aber wer mit der Oper nicht vertraut ist, fühlt sich mehr und mehr verloren. Schon rein akustisch versteht man so gut wie nie, was die beiden Solisten da singen (oft kryptische Verse wie „Die Schlafende schütze mit scheuchendem Schrecken“) – und wenn doch, dann fragt man sich, was sie damit wohl ausdrücken wollen. Insofern war das heraufziehende Unwetter fast das Beste, was dieser Aufführung passieren konnte.

Ein besseres Händchen bewiesen tags darauf die Münchner Philharmoniker mit ihrem designierten Chefdirigenten Lahav Shani am Pult. Da traf Paul Dukas’ 1897 entstandener „Zauberlehrling“ etwa auf eine 2001 veröffentlichte Komposition von John Williams über Zauberschüler aus Hogwarts, da wird Carl Maria von Webers „Oberon“-Ouvertüre kontrastiert mit dem bösartigen Zauberer aus Igor Strawinskys „Feuervogel“-Ballettmusik. Mit seiner eleganten, sinnlich-tänzerischen Art zu dirigieren, ohne Taktstock, aber dafür mit dem ganzen Körper, dürfte Shani viele Sympathiepunkte sammeln.

Als Volltreffer erwies sich schließlich erwartungsgemäß auch die Solistin des Abends. Anne-Sophie Mutter präsentierte das „Rondo capriccioso“ von Camille Saint-Saëns und einige Stücke von John Williams in Versionen für Violine und Orchester, die der vielfach preisgekrönte Filmkomponist extra für die Wahl-Münchnerin geschrieben hat, darunter der fetzige Teufelstanz aus „Die Hexen von Eastwick“, das melancholische Titelthema aus „Sabrina“ oder Hedwigs Thema aus „Harry Potter und der Stein der Weisen“, wo Williams eine gewagte, zeitweilig ins Atonale abdriftende, mit höllischen Herausforderungen gespickte Kadenz eingebaut hat.

Aber eine Violin-Virtuosin wie Anne-Sophie Mutter lässt sich davon natürlich nicht schocken. Die Hexenmeisterin brachte ihre Geige nicht nur zum Grooven, sondern auch zum Singen – und die Herzen der Zuhörer zum Klingen. Vor allem verschwendet sie ihre stupende Technik nicht dafür, irgendwelche stupiden Geschwindigkeitsrekorde aufzustellen, sondern nutzt sie, um die Musik wirklich zu gestalten, Gefühle zu vermitteln und Geschichten zu erzählen.

In der Anmoderation ihrer Zugabe (John Williams’ „Scherzo für Motorrad und Orchester“ aus „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“) konnte sich die Musikerin einen Seitenhieb auf die bayerische Kulturpolitik nicht verkneifen: „Ich bin sicher“, verkündete sie mit Unschuldsmiene, „dass Maestro Shani ganz wichtige musikalische Akzente setzen und uns auch dabei behilflich sein wird, dass wir vielleicht doch noch vor 2063 – oder war’s 2036? – einen neuen Konzertsaal bekommen.“

Anscheinend hatte auch Petrus so viel Spaß an diesem lauen Sommerabend, dass er für tolles Timing sorgte. Bis kurz vor Konzertende blieb es trocken, erst beim Rausschmeißer, Williams’ „Imperial March“ aus „Das Imperium schlägt zurück“, öffneten sich die Himmelsschleusen.
MARCO SCHMIDT

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