„Gleichgültigkeit ist das Schlimmste“

von Redaktion

Nikolaus Habjan über Kultur in Zeiten der FPÖ und Theater ohne Gefühl

Friedrich Zawrel wurde als Kind sadistisch gequält. © APA

„Theater kann aufklären“: Nikolaus Habjan mit seiner Klappmaulpuppe, die den Holocaust-Überlebenden Friedrich Zawrel zeigt. Über 630 Mal hat er das Stück gespielt. © Lex Karelly

Er kommt so harmlos daher mit seinen Klappmaulpuppen. Dabei steht Nikolaus Habjan in der großen Tradition der österreichischen Schwarzhumoristen, allerdings auf seine eigene, hintergründige, gern leise Art. Seit 2012 tourt er mit der Produktion „F. Zawrel – erbbiologisch und sozial minderwertig“. Eine berührende, bestürzende Hommage über einen Holocaust-Überlebenden, die aktueller denn je ist (siehe Kasten, Termine unter nikolaushabjan.com). Eigentlich sollte Habjan diese Woche die Eröffnung der Bregenzer Festspiele moderieren, das musste er krankheitsbedingt absagen. Dafür spielt der 36-Jährige, der auch Kunstpfeifer ist, dort am 11. August „Ich pfeif’ auf die Sobotka“ zum Abschied von Intendantin Elisabeth Sobotka.

Würden Sie sich als politischen Theatermacher bezeichnen?

Sobald es um Menschen geht, wird es doch politisch. Allein die Aussage „Ich bin nicht politisch“ ist höchst politisch.

Gibt es Ihre Jörg-Haider-Puppe noch?

Ja, sie war halt lange nicht mehr im Einsatz. Das war ohnehin der erste Politiker, den ich als Puppe auf die Bühne gebracht habe. Die Puppe wird wohl nicht mehr auftreten, das ist zu lange her. Unsere Zeit wird immer schneller. Haider dürfte vielen gar kein Begriff mehr sein.

Andererseits ist da diese ungute Spiralentwicklung: Es gibt neue Haiders, auch in Deutschland.

Absolut. Aber das sind einfach andere Gesichter. Eine Haider-Puppe würde jetzt ihr Ziel verfehlen. Ich müsste also eigentlich andere Puppen bauen – und zwar viele.

Sind die Menschen vergesslicher geworden?

Nein, aber toleranter in die falsche Richtung. Diese Gleichgültigkeit ist das Allerschlimmste, was uns passieren kann. Gleichgültigkeit ist viel schlimmer als ein böser Mensch. Und der größte Schaden wird immer von den Leuten verursacht, die nicht wählen.

Sie sagten mal, „F. Zawrel“ sei Ihr wichtigstes Stück. Noch immer?

Ja, und das wird es auch bleiben. Ich möchte keines meiner anderen Stücke abwerten. Aber allein der Entstehungsprozess, die Freundschaft mit Friedrich und das, was dies mit meiner Persönlichkeitsentwicklung angestellt hat, die emotionale Verbundenheit, all das hebt diese Produktion für mich so heraus. Auch wenn man sieht, mit welchem Vertrauensvorschuss und welcher Menschenliebe Friedrich auf andere zugegangen ist – trotz seiner Vergangenheit.

Diese so wichtigen Zeitzeugen wird es irgendwann nicht mehr geben. Fühlen Sie auch eine moralische Verpflichtung weiterzuspielen?

Ja. Nur eine einzige Kritikerin hat mir mal einen Vorwurf gemacht und das Stück als einen einzigen erhobenen moralischen Zeigefinger bezeichnet. Dazu fiel mir ein Satz des Autors und Psychiaters Paulus Hochgatterer ein: „Vor Moral fürchten sich nur die, die keine haben.“ Was mich so traurig macht, ist, dass Moral in unserer Zeit negativ behaftet ist. Moral ist einfach ein innerer Kompass für richtig und falsch. Damit ist sie sogar überlebenswichtig. Ich finde es auch perfide, alle und alles sofort in Schubladen einzuordnen. Man soll Menschen erst einmal so nehmen, wie sie sind. Und dann kann man sich mit ihnen auseinandersetzen – nachdem man sie akzeptiert hat. Es kann doch nicht sein, dass alle, die FPÖ oder AFD wählen, verrohte, schlechte Menschen sind. Es gibt immer einen Grund dafür, und dort müssen wir sie abholen. Sonst reagieren sie erst recht mit Trotz. Es braucht eine Handreichung und einen großen gemeinschaftlichen Respekt. Auch das ist nämlich Demokratie.

Mittlerweile haben Sie „F. Zawrel“ in 13 Jahren über 630 Mal gespielt. Schulklassen kommen regelmäßig, außerdem wird das Stück in Österreich im Rahmen der juristischen Ausbildung gezeigt. Glauben Sie also daran, dass Theater etwas verändern kann? Oder ist das ein wohlfeiler Gedanke?

Früher hätte ich sofort gesagt: Theater kann das nicht. Weil die Leute, die für solche Aufführungen eine Karte kaufen, sich nicht mit etwas auseinandersetzen, was komplett gegen ihr Weltbild geht. Aber wenn sich nun eine Lehrerin oder ein Lehrer die Mühe macht, mit der Klasse am Abend ins Theater zu gehen, kann man das nicht genug loben. Ich selbst hatte nicht so viele Lehrer, die sich das angetan haben. Ich kriege Briefe von jungen Leuten, die mich unglaublich berühren. Im Vergleich dazu ist mir eigentlich jeder Theaterpreis egal. Und wenn sich ein engagierter Wiener Richter dafür einsetzt, dass der Fall Friedrich Zawrel Teil der Ausbildung sein muss und ich dafür etwa ins Justizzentrum Schwechat komme, dann finde ich das großartig. Auch dass eine Anfrage vom Bundesheer für die Rekruten kam.

Aber beruhigt Sie das? Gerade angesichts des Erstarkens rechtsextremistischer Kräfte?

Natürlich gibt es Frust. Aber der erstreckt sich nicht nur aufs Theater, sondern auch auf die Medien, wie dort mit diesen Themen umgegangen wird, oder auf Politiker, wie sie Wahlkämpfe betreiben. Ich denke mir einfach: Was ich machen kann, das tu’ ich. Und es gibt ja Resonanz. Allein deswegen war es mir die Sache wert.

Warum gibt es dann eigentlich so wenige Projekte wie dieses? Oft kommt es dagegen zum konfrontativen, politischen Thesentheater.

Ich glaube, dass es unter den Theatermachern eine ganz große Angst vor Gefühlen gibt. Nicht vor Wut, die sehe ich oft. Aber die ist keine gute Emotion, um die Leute mitzunehmen. Wut macht am Ende müde. Man muss dagegen versuchen, mehr Mitgefühl auf der Bühne zu erzeugen. Wenn ich im Theater bin, möchte ich mich in die Geschichte fallen lassen und vielleicht irgendwann denken, dass das nicht inszeniert oder hergestellt ist.

Und wird Theater gerade jetzt immer wichtiger?

Das war es immer und wird es bleiben. Wir befinden uns gerade in einem großen Transformationsprozess. Der ist manchmal scheußlich und verursacht so etwas wie Wachstumsschmerzen. Wer weiß, wo wir mit dem Theater im deutschsprachigen Raum landen… Wir müssen einfach daran glauben, dass Theater alles kann: Unterhaltung, Gefühle erzeugen und eben aufklären.

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