Legenden der Lässigkeit

von Redaktion

ZZ Top begeistern in der Tollwood-Arena mit Bart und Blues

Cooler geht‘s kaum: (v. li.) Elwood Francis, Frank Beard und Billy Gibbons von ZZ Top. © Scharf

Um als Rockmusiker in die Geschichte einzugehen, brauchst du genau einen guten Trick. Und bist du besonders clever, funktioniert dieser Trick auch noch im Alter. Also: Wenn du dein gebeugtes Gestell nicht in eine Schuluniform zwängen oder die morschen Knochen im neunten Lebensjahrzehnt ins Fitness-Studio schleppen willst, um wie Angus Young oder Mick Jagger den ewigen Jungspund respektive Sexgott zu mimen. Kurz gesagt: Rockmusiker, lerne von ZZ Top!

Der Trick der „little ol’ Band from Texas“ sind ja nicht nur die Bärte und Sonnenbrillen, ihr Trick ist die demonstrative Langsamkeit. Ihr Publikum hat seit Jahrzehnten das Gefühl, es sehe Schildkröten beim Sex zu – und sei trotzdem Zeuge der coolsten Wesen, die auf diesem Planeten wandeln. ZZ Top, das zeigt auch der umjubelte Auftritt in der ausverkauften Tollwood-Arena, sind die zeitlosen Legenden der Lässigkeit.

Die Ironie haben sie eh gepachtet. So betreten die „tres Hombres“ die Bühne zur Ansage „Are you ready for Star Time?“ – einem Schnipsel aus dem Apollo-Konzert von James Brown, dem alten Spagat-Springer. Nein, Spagate wird es heute keine geben, nur synchron schwingende Gandalfbärte und aus der Hüfte geschossene Blues-Licks. Und weil natürlich jeder gespannt ist auf den „Neuen“ – den Nachfolger der vor zwei Jahren verstorbenen Legende Dusty Hill –, kommt Elwood Francis für das Eröffnungsstück „Got me under Pressure“ mit einem 17-saitigen (!) Bass in Quietschgelb daher. Schaut ruhig, soll das wohl heißen. Ich passe gut rein in diesen bunten Haufen.

Und bunt ist das Trio wirklich: Frank Beards Schlagzeug ist verziert wie ein mexikanischer Reliquienschrein. In die Basstrommeln sind Bourbonfässchen integriert, mit der Inschrift „Aged to Perfection“. Wie wahr: Der Drummer sieht aus wie eine Mischung aus Clint Eastwood und Sepp Maier. Francis und Frontmann Billy Gibbons stecken in paillettenbesetzten „Nudie Suits“ und Glitzer-Turnschuhen. Der Bassist treibt den Haar-Fetisch auf die Spitze – mit seinem schlohweißen Strubbel-Schopf schaut er aus wie der Nikolaus unter Starkstrom. Gibbons hält sich an das klassische Bartmodell „totes Opossum unterm Kinn“.

Aber darauf kommt es letztlich nicht an. Es ist die Art, wie Gibbons sein Instrument knetet und ihm flirrende, obertonreiche Riffs entlockt. Wie er Rhythmus und Soli mühelos vereint – er ist einer der großen Trio-Gitarristen des Rockzeitalters, aber Songs wie „Jesus just left Chicago“ und „Just got paid“ verdanken alles den alten Bluesern Howlin’ Wolf und Lightnin’ Hopkins. Selbst der am heftigsten beklatschte Hit aus der MTV-Ära, „Sharp dressed Man“, steht knietief im Matsch des Mississippi-Deltas.

Der Kontakt zum Publikum gelingt Gibbons wie immer mit dem Abspreizen eines Fingers. „My Head’s in Mississippi“ dichtet er auf München um, zeigt den Rücken seiner Gitarre – „Bier“ steht da in großen Lettern. „Tush“, das Lied, das Dusty Hill stets sang, lassen sie aus Pietät weg. Aber sie spielen „Brown Sugar“ vom ersten Album und schicken die Leute mit „La Grange“ nach Hause. „Hattet ihr eine gute Zeit?“, ruft Gibbons. Als wüsste er es nicht. Der Trick hat wieder funktioniert.
JOHANNES LÖHR

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