In der Hitze der Stadt

von Redaktion

Mikael Ross stellt seine Graphic Novel „Der verkehrte Himmel“ morgen in München vor

Lediglich fünf Bilder benötigt Mikael Ross auf dieser Seite, um von der Gefahr zu erzählen, in der seine Protagonistin Hoa Binh schwebt. © Mikael Ross/Avant-Verlag

Einmal mehr ist es der Heavy Metal, der uns einige entscheidende Hinweise liefert. „Trapped in Purgatory/ A lifeless Object, alive“ heißt es in „Raining Blood“ von Slayer. Ausgerechnet dieses Lied der US-Amerikaner aus dem Jahr 1986 hat sich Dennis, der im Berlin von heute lebt, als Klingelton ausgesucht. Natürlich wird Dennis recht häufig angerufen – und natürlich zerreißen die grausig gezackt gezeichneten Sprechblasen mit den schroff gestalteten Songzeilen beinahe die Panels in „Der verkehrte Himmel“. Ja, das ist ein hübscher Spaß für alle Leserinnen und Leser, ein Spielchen mit Klischees. Viel wichtiger aber ist, was der Autor und Zeichner Mikael Ross damit über seine Protagonisten erzählt.

Übersetzt heißt die Slayer-Strophe „Gefangen im Fegefeuer/ Ein lebloses Objekt, lebendig“ und sie beschreibt sehr genau die Lage, in der Hoa Binh sich befindet. Die junge Frau aus Vietnam wird von Schleppern festgehalten, mit falschen Versprechungen wurde sie nach Europa gelockt. Am Leben ist sie, das schon, aber doch brutal zur „Ware“ degradiert. Zufällig begegnen ihr Dennis und seine jüngere Schwester Tâm, zunächst auf einem Parkplatz, dann zu Hause in Berlin-Lichtenberg, wo die beiden mit ihren Eltern leben. Als sie einander wiedertreffen, konnte sich Hoa Binh zwar recht taff aus dem Fegefeuer befreien, bedeutet das aber auch, dass sie nun wirklich frei ist?

Ross hat mit dieser Graphic Novel einen Thriller vorgelegt: spannend und rasant erzählt, das Thema so drückend wie die „Betonhitze“ in den Straßen der Stadt. Und doch atmet die Geschichte zwischendurch die Wurschtigkeit der Jugend sowie die Unbeschwertheit eines lässigen Sommers, trotz des Stresses, mit dem sich die Figuren jenseits aller Verbrechen herumschlagen müssen.

Morgen stellt der Autor und Zeichner „Der verkehrte Himmel“ in seiner Heimatstadt vor, im Buchpalast an der Kirchenstraße. Zwar lebt Mikael Ross längst in Berlin, geboren wurde er 1984 jedoch in München. Bevor er zum Zeichnen kam, absolvierte er eine Ausbildung zum Theaterschneider an der Bayerischen Staatsoper. Dann zog es ihn von der Isar an die Spree und zum Studium an die Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Sein Debüt „Herrengedeck“ brachte er 2008 im Eigenverlag heraus.

Mit seinem neuen Buch gelingt dem Künstler nun ein faszinierendes Spiel mit Genres, die auf den ersten Blick kaum zueinanderpassen wollen. Das macht den großen Reiz der Lektüre aus. Zum einen ist „Der verkehrte Himmel“ ein starker Krimi mit allem, was dazugehört: wilden Verfolgungsjagden, Actionszenen, brutaler Gewalt und Spannung bis zuletzt. Dabei gerät der Autor erzählerisch nur selten auf den Kiesweg. Zum anderen zeichnet Ross sehr pointiert und mit liebevollem Blick das Leben Berliner Jugendlicher nach, die oft genug zerrissen sind zwischen Ansprüchen und Erwartungen eines traditionellen Elternhauses und dem Ausprobieren möglicher Identitäten, dem Suchen des eigenen Platzes im Großstadtdschungel. Das ist tatsächlich oft – pardon! – saukomisch, dabei stets empathisch.

Auch ästhetisch ist „Der verkehrte Himmel“ eine Gratwanderung, die glückt: Ross hat einen feinen Strich, weiß aber, wann er den Stift derb aufsetzen muss. Er nutzt elegant Kontraste und Schraffuren für die Dramaturgie seiner Geschichte, die Elemente des Film noir ebenso gekonnt zitiert wie die japanische Manga-Kunst. Dabei stellt er sein Können nie aus, ist sein Stil nie affektiert, sondern steht im Dienst des Abenteuers, das Tâm, Dennis, Hoa Binh und alle anderen durchleben (müssen). Die Zeichnungen in Schwarz-Weiß scheinen fiebrig zu pulsieren und entwickeln ihre eigene Farbigkeit. Das geschieht derart selbstverständlich, dass die vier Seiten, auf denen Rot beigemischt wurde, beim Lesen wie ein Stromschlag für die Augen wirken.

Mit dem Titel seines Werks verweist Ross auf Christa Wolfs Erzählung aus dem Jahr 1963. In „Der geteilte Himmel“ geht es ebenfalls um Menschen, die miteinander wollen – aber nicht können, weil ihre Lebenswelten und Lebenspläne schlicht nicht zueinander passen. Vor allem Tâm wird das in diesem Comic mitunter schmerzlich lernen müssen. Als sie es schließlich begreift und akzeptiert, ist längst der Winter da. Und sie ein gutes Stück erwachsener geworden.
MICHAEL SCHLEICHER

Mikael Ross:

„Der verkehrte Himmel“.
Avant-Verlag, Berlin, 344 Seiten; 28 Euro.

Lesung: Mikael Ross stellt sein Buch morgen, 19 Uhr, im Münchner Buchpalast, Kirchenstraße 5, vor; weitere Informationen unter Telefon 089/ 54 04 18 62.

Artikel 2 von 10