„Warum sind wir hier?“

von Redaktion

Die Salzburger Festspiele starten mit einem neuen „Jedermann“

Salzburgs neues Traumpaar? Das wird sich bei der „Jedermann“-Premiere am kommenden Samstag zeigen. Philipp Hochmair (Titelrolle) und Deleila Piasko (Buhlschaft) posieren schon mal über den Dächern der Stadt. © Neumayr Fotografie

Normalerweise gebührt die Rolle ja anderen. Jenen ruhmvollen, manchmal in Ehren ergrauten und erweißten Burgschauspielertypen, gern mit Fernseh- oder Kino-Vergangenheit, die das Spiel auf dem Domplatz qua ihrer erdrückenden Biografie veredeln sollen. Aber ein Rockstar der Zunft als Jedermann, das gab es wohl noch nie – vielleicht abgesehen von Lars Eidinger. Und dabei hat Philipp Hochmair beste Voraussetzungen für die Titelrolle in Hugo von Hofmannsthals Welttheater. Seit 2013 tourt er mit seiner wilden, apokalyptischen Performance „Jedermann reloaded“ durch die Theaterlandschaft. Und 2018 sprang er bei den Salzburger Festspielen für den erkrankten Tobias Moretti im originalen „Jedermann“ ein, der Text wurde ihm per Knopf im Ohr souffliert.

So viel zum Rebellen-Image. Dabei kann der Wiener mit Engagements in Berlin, Hamburg, Zürich und am Burgtheater eine astreine Schauspiel-Karriere plus TV-Einsätze („Vorstadtweiber“, „Blind ermittelt“) vorweisen. Ganz unlogisch ist es also nicht, dass der 50-Jährige nun „offiziell“ fürs heilige Spiel gebucht wurde. Robert Carsen besorgt die Neuinszenierung, die am kommenden Samstag, am Eröffnungswochenende der Festspiele, Premiere hat. „Er wird nicht historisch angelegt sein, sondern heutig; das kann ich auf jeden Fall schon verraten“, sagte Hochmair der österreichischen Nachrichtenagentur APA über diesen „Jedermann“.

„Ich habe mir herausgenommen, mit einer nicht historischen und sehr persönlichen Sicht draufzuschauen, das Stück mit einer radikaleren Sicht umzukrempeln“, erklärt Hochmair seine eigene Performance. „Bei Carsen gibt es nun eine gewisse Werktreue, die sehr belebend ist.“ Der kanadische Regisseur kommt eigentlich aus der Opernszene. Bei den diesjährigen Salzburger Pfingstfestspielen hat er Mozarts „La clemenza di Tito“ herausgebracht, die Produktion wird traditionell ins Sommerprogramm übernommen. Und dass diesem „Jedermann“ mit Deleila Piasko in der kleinen, stets extrem beachteten Rolle der Buhlschaft mehr Aufmerksamkeit als sonst gilt, hat auch mit dem ungewöhnlichen Programm zu tun.

Am Beginn der Festspiele steht nämlich keine große Opern-Premiere. Dafür gibt es „Capriccio“ von Richard Strauss nur konzertant, immerhin mit Christian Thielemann am Pult der Wiener Philharmoniker. Und eine Wiederaufnahme des umstrittenen „Don Giovanni“ in Regie und Ausstattung von Romeo Castellucci. 2021 kam diese Mozart-Produktion heraus. Damals wie heute dirigiert Teodor Currentzis. Letzteres gilt für viele als Politikum. 2021 spielte noch das Ensemble MusicAeterna, das von russischen Geldgebern unterstützt wird. Mittlerweile hat Currentzis als Reinwaschung das Ensemble Utopia gegründet und lässt sich das von anderen finanzieren. Dass ihm der russische Staat in St. Petersburg wohl einen Konzertsaal spendieren will, hat den Dirigenten erneut ins Zwielicht gerückt. Salzburgs Intendant Markus Hinterhäuser lässt sich davon nicht beirren: Currentzis leitet am Freitag auch das Eröffnungskonzert mit Bachs Matthäus-Passion.

Wenigstens zwei Wochen nach Beginn der Festspiele nimmt das Opern-Programm Fahrt auf: mit „Der Idiot“ von Weinberg, „Der Spieler“ von Prokofjew und „Hoffmanns Erzählungen“ von Offenbach. Bei letzterer Produktion setzt Intendant Hinterhäuser mit Mariame Clément auf ein neues Gesicht für Salzburg. Ansonsten vertraut er mit Krzysztof Warlikowski, vor allem mit Peter Sellars auf gut abgehangene Regie-Kunst. Auch deshalb ist Hinterhäuser in die Kritik geraten: weil er in Sachen Oper kaum mehr neue Akzente setzt oder Risiken eingeht. Zudem hat er das vorherige „Jedermann“-Team unsanft aus Salzburg vertrieben. Die Inszenierung von Michael Sturminger war zwar ein Reinfall. Trotzdem hätten sich Michael Maertens (Titelrolle) oder der Regisseur eine andere Kommunikation gewünscht, wie sie mehrfach äußerten. Immerhin ist Maertens in diesem Sommer wieder dabei – mit der Lesung „Hallo, hier spricht Nawalny“. Dabei werden Briefe und Reden des Kreml-Kritikers vorgetragen, der im vergangenen Februar unter ungeklärten Umständen in einem russischen Straflager starb.

Neben dem „Jedermann“ gibt es im Schauspiel-Programm unter anderem noch Zweigs „Sternstunden der Menschheit“ (als Koproduktion mit dem Münchner Residenztheater), eine Fassung der „Orestie“ als Kombination aus Aischylos, Sophokles und Euripides, eine Bühnen-Version von Thomas Manns „Zauberberg“ sowie die Performance „Spiegelneuronen“ der Gruppe Rimini Protokoll. Gegen den „Jedermann“ haben es diese hochkarätigen, ambitioniert besetzten Produktionen in der öffentlichen Wahrnehmung schwer. „Ich glaube, es gibt kein relevanteres Stück“, sagt Philipp Hochmair über den Hofmannsthal-Blockbuster. „Das ist eine Botschaft, die immer gültig ist: Woran glaubst du? Warum sind wir hier?“
MARKUS THIEL

Informationen

zum Programm der Festspiele und zum Vorverkauf unter
www.salzburgerfestspiele.at.

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