Tanztee im Pfarrheim klingt anders: (v. li.) Bassist Roger Glover, Keyboarder Don Airey, Schlagzeuger Ian Paice, Sänger Ian Gillan und Gitarrist Simon McBride sind Deep Purple anno 2024. © Jim Rakete
Partykeller. Cannabis und Kirschlikör. Kerzenwachs tropft auf den Flokati – in dicken Strömen von Vulkanen, die in ihrem früheren Leben mal Weinflaschen waren. „Kröver Nacktarsch Spätlese“. Da schieben sich tatsächlich gleich „Deep Purple“-Bilder vor die innere Linse, kaum hat man auf „Play“ gedrückt und hört die ersten Töne von „=1“. Na gut, ist ja auch das neue Album von Deep Purple, mag da mancher sagen. Aber kaum eine Band hat im Laufe ihrer Geschichte so viele Wandlungen durchgemacht wie die britischen Ikonen (siehe Kasten). Da stellt sich schon die Frage: Wie kommen die Hardrock-Dinosaurier wohl daher nach der achten Häutung, mit der fünften Hüfte und dritten Zähnen? Wie tief lila leuchtet die Lavalampe noch?
Doch dann hört man E-Gitarre und Orgel charakteristisch im Gleichklang röcheln, hört eine chromatisch abfallende Melodielinie – und Ian Gillan, der jovial sprechsingt, um mal wieder eine Frau rumzukriegen. Und es kommt nicht rüber wie Tanztee im Pfarrheim, eher wie „Anyone’s Daughter“ von anno ’71. Gleich danach orgeln und frickeln sich Don Airey und Neuzugang Simon McBride noch ein Solo-Duell um die Ohren – und schon muss man grinsen, so altbacken klingt das alles, aber eben auch: so angenehm vertraut.
Der etwas kryptische Albumtitel heißt übrigens im Englischen „equals one“, also „ist gleich eins“. Die Idee dahinter: Die Welt wird immer komplexer, aber die Essenz bleibt letztlich doch dieselbe und alle Menschen sind gleich. Nenn es Hippie-Kitsch, nenn es christliche Werte, das liest sich jedenfalls ganz wohltuend angesichts der allgemeinen Bergfried-Mentalität unserer Zeit. Natürlich ist damit auch die verschworene Gemeinschaft der alten Herren hinter dem Namen Deep Purple gemeint.
Und tatsächlich verkraftet die Band wie kaum eine andere frisches Blut. Saitenakrobat Steve Morse hat Deep Purple nach 28 Jahren verlassen, er kümmert sich um seine kranke Frau. Seit zwei Jahren ist Gitarrist McBride dabei, der sein unzweifelhaftes Können nicht ganz so ins Rampenlicht stellt. Der 45-jährige Nordire klingt bisweilen wie seinerzeit Richie Blackmore, der Ton ist weich, gerade bei den Balladen „If I were you“ und „I’ll catch you“, bei denen auch Ian Gillan noch mal alles gibt.
Der Stimmumfang dieses prototypischen Rock-Shouters reicht natürlich längst nicht mehr an fünf Oktaven ran (darum spielen sie den Kreisch-Klassiker „Child in Time“ auch nicht mehr live). Das muss er aber auch nicht, er klingt bei aller zeitweiligen Kurzatmigkeit immer noch maximal wie ein Fünfzigjähriger, seine 78 Lenze verheimlicht er spielend, nicht nur in der Müßiggängerhymne „Lazy Sod“ („Fauler Sack“) und der ironischen Beschreibung einer Rockstar-Orgie „Now You’re Talkin’“ zeigt er sich außerdem ziemlich witzig.
Wie überhaupt die ganze Band hier sehr inspiriert zu Werke geht – und womöglich hat ihr auch Produzent Bob Ezrin auf die Sprünge geholfen, der schon in den Siebzigern Alice Cooper, Kiss und Pink Floyd deren Sound verpasste. Die Riffs der legendären Riff-Schmiede sind durchwegs brauchbar bis prima, mit dem Hit „Sharp Shooter“ und „Old-Fangled Thing“ sind ziemlich flotte Zwischensprints eingebaut – das Schluss-Stück „Bleeding obvious“ galoppiert anfangs sogar drauflos wie eines von Iron Maiden, mit fliegenden Fahnen und Harmonie-Gitarre. Und die alten Helden Ian Paice und Roger Glover zeigen an Drums und Bass, dass niemand dem harten Klangkörper ein solideres Fundament gießen kann als diese alten Handwerksmeister.
Natürlich hat hier nicht alles die gleiche Verve, und ohne das eine oder andere Selbstzitat kommen sie auch nicht aus. Aber letztlich ist das ja auch das Schöne an „=1“. Also: Da ist eindeutig noch Leben in der Lavalampe. Ab in den Partykeller!
JOHANNES LÖHR
Deep Purple:
„=1“ (Edel Records).
Wer die Band noch einmal live erleben will: Deep Purple spielen im Rahmen ihrer „1 More Time“ Tour am 23. Oktober in der
Olympiahalle. Karten gibt’s
noch im Vorverkauf.