Verbotene Liebe: Amenaide (Mélissa Petit, re.), die eigentlich mit einem anderen verheiratet werden soll, und Tancredi sind in dieser Inszenierung ein lesbisches Paar. © Monika Forster
Eine stockende Gesangsphrase, dann ein Seufzen der Streicher, wieder ein waidwundes Stöhnen des Titelhelden, schmerzvoll beantwortet vom Orchester. Sehr lang geht das so mit dem Sterben. Zu Zeiten Gioachino Rossinis war ein solcher Operntod revolutionär: kein arioses Aufbäumen, sondern ein Verdämmern des Stücks. Weshalb er zum Plaisir des Publikums auch eine Variante mit Happy End schrieb. Mit „Tancredi“, den er als 20-Jähriger komponierte, glückte ihm der katapultartige Aufstieg in die Opernszene. Was heute kaum mehr nachvollziehbar ist, weil der Zweieinhalbstünder fast vergessen ist – bis auf „Di tanti palpiti“, Auftrittsarie Tancredis und Schaustück fast aller Mezzosoprane.
Insofern passt die Ausgrabung zum Bregenzer Festival. Dort, wo sich die scheidende Intendantin Elisabeth Sobotka im Festspielhaus vornehmlich um Italienisches aus der zweiten Reihe kümmerte. „Tancredi“ verknüpft eine tragische Liebesgeschichte mit politischen Wirren. Im neunten Jahrhundert war Syrakus auf Sizilien nicht nur von Sarazenen belagert, sondern auch Schauplatz heftiger Familienfehden. Bei Regisseur Jan Philipp Gloger, noch Schauspielchef in Nürnberg und bald Intendant des Wiener Volkstheaters, spielt alles im Jetzt.
Zwei Clans bekämpfen sich hier, Kerle unter Testosteron-Überdruck, denen Messer und Pistolen locker sitzen und die schon mal zu Foltermethoden greifen. Patriarch Argirio (Antonino Siragusa mit Tenorfräse) will seine Tochter Amenaide mit Orbazzano von der Gegenseite zwecks Versöhnung verheiraten. Doch die liebt Tancredi, Edelmann und Outlaw. Durch ein Missverständnis glaubt Tancredi, Amenaide sei einem anderen verfallen. Erst nachdem er eine tödliche Kampfeswunde erlitten hat, klärt sich alles auf.
Dies nur das Destillat der Handlung – Rossini baute mit Librettist Gaetano Rossi, der sich eine Voltaire-Vorlage griff, einige Hakenschläge und Sackgassen ein. Gloger, das ist ein großes Plus, macht alles dennoch plausibel und nachvollziehbar. Ben Baur hat ihm dazu einen muffigen historischen Palazzo gebaut mit Patio, Küche, Salon, Gängen und gekacheltem, blutigem Folterzimmer im Zwischengeschoss. Alles dreht sich so langsam wie genau im richtigen musikalischen Moment, erlaubt damit wechselnde Einblicke in den Zoff der Familien. Mögen zwischendurch Schüsse knallen und sich Halbstarke Kämpfe liefern: Die Gefährlichkeit und Brutalität wirkt in dieser Aufführung nur behauptet. Gloger interessiert sich fürs Intime, inszeniert behutsam Zweiermomente, doch zu oft sackt der Abend ihm durch und weg. Für die Hosenrolle Tancredi hat er einen (typischen) Kniff parat. Der Held ist eine Heldin. Und die Liebe zwischen Tancredi und Amenaide eine lesbische Beziehung, die geheim bleiben muss: Zu Beginn wird ein totgeschlagener Mann mit dem Schild „Gay“ gebrandmarkt. Alles irgendwie plausibel, doch in dieser Realisierung nicht gerade nervenaufreibend. Interessanterweise singt das Hauptpaar auch abseits des Klischees – Anna Goryachova (Tancredi) und Mélissa Petit (Amenaide) stellen nicht Brillanz und Virtuosität aus. Sie hören mit fein gesponnenen, auch gedeckten Vokallinien eher in die Figuren hinein – um dann gelegentlich und plötzlich in Dramatisches auszubrechen. Andreas Wolf (Orbazzano) gesellt sich dazu mit Belcanto-Bass. Der Prager Philharmonische Chor zeigt in den großen Ensembles gutes Timing.
Dirigentin Yi-Chen Lin wirft am Pult der Wiener Symphoniker nicht die Rossini-Rattermaschine an. Melos und Lyrisches wird fein abgeschmeckt, Bläserverläufe sind manchmal wichtiger als ein konturierter Rhythmus. Das passt zu Glogers Regie. Den szenischen Situationen und den musikalischen Entwicklungen gibt die Aufführung zu sehr nach, anstatt sie offensiv zu gestalten. Nicht nur in einer der längsten Sterbeszenen seit den Oberammergauer Passionsspielen. Auch der Beifall zeigt: ein Achtungserfolg.
Weitere Aufführungen
am 21. und 29. Juli; Karten unter bregenzerfestspiele.com.