Die stärkste Szene: Jedermann (Philipp Hochmair) begegnet seinen Werken (Dörte Lyssewski). © Monika Rittershaus
Die passen tatsächlich zusammen: Philipp Hochmair (Jedermann) und Deleila Piasko (Buhlschaft) legen einen heißen Tango hin. © Monika Rittershaus
Von der Börse könnte das Geld stammen, von Immobilienspekulationen – oder einfach aus dem Familienvermögen. Gearbeitet hat dieser Jedermann wohl noch nie. Ein Früchtchen mit schlechtem Geschmack. Der Anzug ist golden, das Benz-Cabrio, mit dem er auf den Platz rollt, ebenso. Selbst aus seiner wahllos zusammengekauften Kunstsammlung – Klimt, Leonardo, Munch – glänzt das Edelmetall als Trophäe eines Herrn Neureich. Und wenn’s ans Feiern geht, bei Hugo von Hofmannsthal heißt das bekanntlich und züchtig „Tischgesellschaft“, tanzt er mit Buddys und Buhlschaft in der Dom-Disco. Rock – und immerhin Tango.
Nach dem Reinfall von Michael Sturmingers „Jedermann“ konnte es nur bergauf gehen. Als im vergangenen Jahr auch noch mit Klimaklebern Kritisches so hilflos bis peinlich auf die Bühne gebracht wurde, zogen die Festspiele die Notbremse. Sie vertrauten für die diesjährige Neuinszenierung mit Regisseur Robert Carsen auf einen alten Opernhasen. Der steht für gediegene Verheutigung mit maßvoller Provokation, vor allem aber für versiertes Handwerk. Und Carsen lieferte. Anfangs auch selbstverliebt als Massenbeschäftiger, die Disco-Szene wird sehr ausgewalzt inklusive des Sinatra-Songs „I’m gonna live till I die“ von Lukas Vogelsang (Dicker Vetter). Immerhin sind da zwei heiße Latino-Tänze von Deleila Piasko als Buhlschaft und Philipp Hochmair in der Titelrolle.
Letzterer ist endlich am Ziel. Seit 2013 tourt er mit seiner Performance „Jedermann reloaded“, sprang in Salzburger Aufführungen des Originals für Tobias Moretti ein und rüttelte wie weiland Gerhard Schröder („Ich will da rein“) an den Gittern zum persönlichen Heiligtum. Natürlich ist Hochmair kein barockes Schwergewicht. Bei ihm kämpft Jedermann mit dem Sprachflorett. Anfangs sehr hibbelig, sehr schnell, mit Überdruck, man fürchtet auch um die Stimme. Von der Wucht letzter Fragen noch keine Spur. Vielleicht, weil Carsens Vergroßbürgerlichung das Stück auch verkleinert. Eine Open-Air-Version von „Das Erbe der Guldenburgs“: Bei diesen Problemchen, so scheint es, hilft keine Lebensbeichte, eher die Kopfwehtablette. Oder wie hier eine Linie Koks.
Fast ungewohnt für Salzburg ist: Jedermann und die Buhlschaft passen zusammen. Deleila Piasko gibt sie als Ex-Girlie auf dem Weg zum Vamp. Offenbar ein Töchterchen von den Nachbar-Neureichs, das beim ersten Auftritt mit Bademantel frisch aus der Dusche zu kommen scheint. Beiden ist viel Körperkontakt vergönnt, auch wenn die Zweierszenen ein Stück weit bemüht und überdreht wirken.
Alles ein langer Anlauf, um Fallhöhe zu gewinnen, wie sich nach 50 Prozent des kurzweiligen Abends zeigt. Ohnehin gibt Carsten mit Co-Bühnenbildner Luis F. Cavalho den Minimalisten. Nur ein paar szenische Elemente, ansonsten darf – wie einst bei Kollege Christian Stückl – der Dom alles dominieren. Aus dem kommt zu Orgelgebraus die Schicki-Meute nach der Sonntagsmesse. Und vor der Fassade werden am Ende alle, fein säuberlich ausgerichtet, im Totenhemd liegen. Zwischendurch darf Jedermann mit der Mutter, gespielt von der feinen, hintergründigen Andrea Jonasson, auf der Parkbank plaudern oder sich mit der Buhlschaft auf dem Kunstrasen räkeln.
Auch wenn die berühmten „Jedermann!“-Rufe gellen und mit bewusster Komik sogar überdehnt werden: Der Vertreter aus dem Jenseits kommt an diesem Abend fast beiläufig. Es ist ein süßer Tod. Ein gelockter Jüngling, Dominik Dos-Reis gibt ihm, ob als Messdiener oder als Disco-Kellner, die Aura eines Engels. Umso mehr läuft Christoph Luser in der Doppelrolle als guter Gesell und Teufel heiß, um schließlich verärgert den Domplatz zu verlassen. Der Mammon des virtuosen Kristof Van Boven hat denselben Anzugschneider wie Jedermann, ist also ein echtes Alter Ego, und rollt am Ende mit Benz und Kunst davon. Je weniger Tand auf der Bühne, desto stärker und tiefer die Aufführung. Auch Hochmair gewinnt der Rolle nun wohltuend andere Töne ab. Carsen, der trotzdem an einigen Szenen noch schrauben müsste, riskiert mit ihm Leerstellen im Mehrfachsinn, stille Momente, die selbst „Jedermann“-Verse plötzlich natürlich klingen lassen.
Die berührendste Szene ist die Begegnung mit den Werken, mit der warmherzigen, zärtlichen Dörte Lyssewski. Ebenso Regine Zimmermann als Glaube: Beide führen den Geläuterten liebevoll zum Grab. Ein bisschen Kitsch, aber kein Pathos, kein klingender Weihrauch, all jenes also, was „Jedermann“ angreifbar macht. Wenn der Tod als Freund kommt, kann Reue nicht so schlimm sein, sagt der Abend. Standing Ovations.
Vorstellungen
bis 28. August,
Kartenstand und Vorverkauf
unter salzburgerfestspiele.at.